Liebe Gemeinde,
seit Jahren betet ein Mann schon für seine Frau, die immer wieder in Depressionen gefangen ist. Er glaubt fest daran, dass Gott seine Frau aus dieser Krankheit befreien kann. Aber nichts ändert sich. Der Mann betet trotzdem weiter. Aber manchmal, manchmal da fällt es ihm das furchtbar schwer. Es fällt ihm schwer, noch an Gott zu glauben. Hört er sein Gebet nicht? Lohnt es sich überhaupt, zu beten? Kann Gott seine Frau überhaupt wieder gesundmachen? Voll Verzweiflung schreit er zu Gott:

Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

Markus 9, 24

Eine junge Frau in Indien hat zum Glauben an Jesus Christus gefunden. Sie hat sich taufen lassen und ist nun Teil einer Gemeinde. Ihre hinduistische Familie hat sie deswegen verstoßen. Im Job wird sie von allen anderen gemieden. Und von staatlicher Seite wird sie auch benachteiligt, seit sie Christin ist. Meistens kommt sie ganz gut mit ihrer Situation klar. Meistens freut sie sich über ihre Taufe und ist dankbar für ihre Gemeinde. Doch manchmal, wenn sie ihre Kollegen wieder besonders hart angehen, wenn sie ihre Familie vermisst, wenn sie sich einsam und irgendwie heimatlos fühlt, dann werden Zweifel in ihr laut. Warum lässt Gott zu, dass es ihr nicht gut geht, obwohl sie doch so viel für ihn aufgegeben hat? War es das wirklich wert? Voller Verzweiflung schreit sie zu Gott:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Markus 9, 24

Er hat den Fehler seines Lebens gemacht und nun sitzt und büßt er dafür im Gefängnis. Immer wieder ist ihm die Hand gegen seine Frau und seine Kinder ausgerutscht. Und dann, als er mal wieder viel zu viel getrunken hatte, hat er in blinder Wut seine Frau so brutal zusammengeschlagen, dass diese seinen Angriff nicht überlebt hat. Im Gefängnis ist ihm Gott begegnet. Er hat gehört, dass Jesus Christus auch für all das, was er falsch gemacht hat, gestorben ist. Dass Jesus sogar ihm vergibt. Er würde das so gerne annehmen. Er würde das so gerne glauben. Aber immer wieder überkommen ihn die Zweifel. „Will Jesus mit einem wie mir wirklich etwas zu tun haben? Ist meine Schuld nicht doch zu groß?“ Voller Verzweiflung schreit er zu Gott:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Markus 9, 24

Ein Vater, dessen Sohn schon von klein auf eine lebensbedrohliche Krankheit hat, wendet sich an die Jünger Jesu und hofft, dass sie ihm helfen können. Seine Hoffnung wird enttäuscht. Wie schon so oft. Auch sie können seinen Sohn nicht heilen.
Dann nimmt sich Jesus selbst ihnen an. Der Mann erzählt ihm die Leidensgeschichte seines Sohnes und am Ende bittet er vorsichtig um Hilfe: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns.“ Nur noch mit Einschränkung kann er die Bitte um Hilfe formulieren. Zu oft hatte er schon auf Hilfe und Besserung gehofft. Zu oft ist er schon enttäuscht worden. Erst gerade wieder von den Jüngern. Sein Schmerz und seine Enttäuschung verhüllen ihm den Blick. Er erkennt nicht, wen er vor sich hat und wirft Jesus deshalb mit den unfähigen Jüngern in einen Topf. Jesus entgegnet ihm: „Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Und dann kann der Vater nicht mehr an sich halten. Voller Verzweiflung schreit er:

Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

Markus 9, 24

Liebe Gemeinde,


Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!

Markus 9, 24

Das ist ein Bekenntnis, das aus dem Innersten kommt. Dieses Bekenntnis ist radikal ehrlich. Denn es bekennt nicht nur, dass man glaubt, sondern es legt auch offen, dass da auch Zweifel sind. Unglaube. Außerdem bringt es den Wunsch nach mehr, nach festerem Glauben zum Ausdruck. Deshalb ist es auch eine Bitte um Glauben.
So ein ehrliches Bekenntnis legen Menschen meist nur in Extremsituationen ab. Wenn Zweifel über einen kommen, weil die Not immer größer wird und es gleichzeitig aber auch keinen anderen Halt als den Glauben mehr gibt. Wenn es existentiell wird.
Geht es uns gut und läuft das meiste in unserem Leben so wie wir es uns vorstellen, dann sagen wir entweder voller Überzeugung: „Ich glaube“ und können damit alle Zweifel übertönen oder wir gönnen uns den Luxus und zweifeln auf eine intellektuelle Art und Weise. Unser Bekenntnis klingt dann in etwa so: „Ich würde ja glauben, aber, wenn man doch naturwissenschaftlich rational denkt, dann muss man sich doch fragen, ob denn der Glaube mit dem Verstand zu vereinbaren ist.“ Vielleicht glauben wir dann auch ganz modern alles ein bisschen und basteln uns unseren schönen Wohlfühl-Patchwork-Glauben zusammen. Von allem ein bisschen, von nichts zu viel. Wenn Glaube nur ein Add-On ist, ein Sahne-Häubchen für ein ansonsten perfekt durchgestyltes Leben, an dem es nur Sonnentage zu geben scheint, dann mag so ein Glaube ausreichen.
Bei dem Vater und seinem Sohn geht es jedoch um die Existenz. Deshalb ist ihr Bekenntnis radikal. Der Vater will nicht diskutieren und nicht argumentieren. Der Vater will glauben. Ohne Vorbehalt will er glauben, dass Jesus seinen Sohn heilen kann. Und damit, dass Jesus Gott ist. Aber er kann es nicht. So wie er Jesus nicht ohne den Bedingungssatz „wenn du aber etwas kannst“ um Hilfe bitten kann, so kann er auch nicht ohne Wenn und Aber glauben. Zu oft wurde seine Hoffnung enttäuscht. So vieles spricht gegen den Glauben. Er zweifelt und schützt sich damit auch ein stückweit selbst.

Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.

Markus 9, 23b

Man könnte in der Reaktion Jesu einen Tadel hören. Sie zeigt aber vor allem, dass Jesus sein Gegenüber ernst nimmt. Er geht über die Zweifel des Vaters nicht einfach hinweg. Er hört sie und er nimmt sie ernst. Und dann öffnet Jesus dem Mann mit seiner Antwort eine neue Perspektive. Die Perspektive des Glaubens.

Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.

Markus 9, 23b

Ohne zu zögern, im Text heißt es: Sofort, betritt der Mann daraufhin den Raum des Glaubens. Er lässt sich auf das Angebot Jesu ein: „Ich glaube.“  
Und gleichzeitig ist er sich dessen bewusst, dass er die Hilfe Jesu dazu braucht:

Hilf meinem Unglauben.

Markus 9, 24b

Glauben – was ist das eigentlich? Unsicher vermuten? Fest vertrauen? Vorhin haben wir verschiedene Gedanken zum Glauben gehört. Im Alltag verwenden wir das Verb „glauben“ meistens, wenn wir etwas nicht sicher wissen oder uns nicht festlegen wollen. „Ich glaube, nächste Woche soll es schneien.“ Oder „Ich glaub, ich komm zu deinem Geburtstag, aber ganz sicher bin ich mir noch nicht.“
Den Glauben im religiösen Sinn bringen wir zuerst oft mit einem Für-Wahr-Halten in Verbindung. Nach dem biblischen Verständnis ist Glauben aber nicht in erster Linie ein unsicheres Annehmen und auch kein „Für-Wahr-Halten“. Glauben ist ein Beziehungsgeschehen. Wer an Jesus glaubt, der lebt in einer lebendigen Beziehung zu ihm. Der lässt sich auf ihn ein. Der vertraut sich ihm an. So, wie sich der Vater ihm anvertraut. Offen und ehrlich, auch mit allen Zweifeln. Er sagt. „Ich glaube. Ich will diese Beziehung zu dir. Ich will mich auf dich einlassen. Aber ich kann es nur bis zu einem bestimmen Punkt. Du musst mir helfen. Du musst mir entgegenkommen. Du musst mich in unserer Beziehung halten.“
Dass Glauben ein Beziehungsgeschehen ist, kommt, wie finde, auf dem Bild zur Jahreslosung von Stefanie Bahlinger sehr gut zum Ausdruck. Nehmen Sie doch bitte mal das Lesezeichen, das Sie am Eingang erhalten haben, zur Hand.
Die rote Figur in der Mitte des Bildes könnte einerseits für den Vater stehen. Er hängt in der Luft. Hat den Boden unter den Füßen verloren. Sein Kopf hängt auch. Genauso wie der Mann im Gefängnis, die junge Frau in Indien, der Mann der kranken Frau und ja, vermutlich so wie auch Sie und ich immer mal wieder den Boden unter den Füßen und den Blick nach vorne verloren haben, hängt er resigniert da. Haltlos und ohne Perspektive. Alles Mögliche strömt auf ihn ein.
Aber in der roten Figur ist nicht nur der um Hilfe bittende Vater zu erkennen, nein, auch Christus steckt in dieser Figur. Er versetzt sich in seine Lage und hält sie mit ihm aus. Jesus Christus versetzt sich in meine Lage und hält sie mit mir aus. Christus, der mit ausgebreiteten Armen am Kreuz hängt. Der aber auch mit ausgebreiteten Armen auf mich zu und mir entgegenkommt. Der meine Zweifel auf die Seite drückt. Der mir Raum schafft trotz aller Anfechtungen zu glauben.
Der das Helle und Frohe in mein Dunkles bringt. Durch den und mit dem zusammen ich glauben kann.
Aus dieser Perspektive scheint mir die Figur nicht mehr bodenlos in der Luft zu hängen. Sondern dynamisch und kraftvoll. Ja, fast sogar tanzend. Jesus schiebt nicht nur meine Zweifel zur Seite, er belebt auch meinen Glauben, wo er unbemerkt zu bloßer Überzeugung, liebloser Rechthaberei oder einem toten System geworden ist.
Denn Glauben als Beziehungsgeschehen ist lebendig und ständig in Bewegung. Da gibt es gute und schlechte Zeiten. Mal bin ich ganz nah an Jesus dran, unsere Beziehung ist ganz eng und ich habe das Gefühl mit meinem Gott über Mauern springen und mit meinem Glauben Berge versetzen zu können. Dann gibt es aber auch wieder Phasen, in denen ich mich weit weg von Jesus fühle. Das kann sein, weil es mir so gut geht und ich über alle dem meine Glaubensbeziehung vernachlässige, weil ich sie vermeintlich gerade nicht brauche.
Das kann aber auch in Zeiten sein, in denen meine Gebete scheinbar an der Zimmerdecke hängen bleiben. Wie in einer echten Beziehung gibt es unterschiedliche Phasen – auch in meiner Beziehung zu Jesus.
Die Beziehung beginnt, wenn ich den Schritt gehe, den auch der Vater gegangen ist. Ein einfaches „Ich glaube“ genügt. Und alles, was dann noch Hinderungsgründe für unsere Beziehung sind, alle Zweifel und auch die Frage des eigenen Unvermögens können wir getrost unserem Gegenüber, Jesus Christus, überlassen. „Hilf meinem Unglauben.“  Wir müssen keine Glaubenshelden sein, um mit Jesus in Beziehung zu leben. Er ist der Held, der uns in der Beziehung hält.

 Ich glaube, hilf meinem Unglauben.

Markus 9, 24

Am Tiefpunkt seiner Verzweiflung hat der Vater erfahren, was Glauben heißt. An dem Punkt, an dem er nicht mehr glaubte, dass er für seinen Sohn Hilfe würde finden können. Gerade da war Jesus für ihn da. Das ehrliche Bekenntnis des Vaters hat ausgereicht. Jesus hat seinen Sohn geheilt.
Jesus Christus hilft uns zu glauben, auch wenn alle Umstände dagegensprechen. Jesus Christus hält an der Beziehung zu uns fest, auch wenn wir zweifeln. Eine Zusage, die uns durch das neue, nun vor uns liegende Jahr begleiten kann. Ja, die uns durch unser ganzes Leben tragen kann.
Egal, was das neue Jahr bringt. Egal, was auf uns zukommen wird. Wir können die Jahreslosung zu unserem ganz persönlichen Bekenntnis und Gebet machen. Wie der Vater können wir es hinausschreien:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben.

Markus 9, 24

Und Jesus Christus wird für uns da sein, so wie er auch für den Vater und seinen Sohn da war.
Amen.

Die Predigt wurde an Neujahr 2020 in der Stadtkirche St. Veit in Waldenbuch gehalten.
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