O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen“? (Jes 40,13) Oder „wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?“ (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Römer 11, 33-36

Liebe Gemeinde,

wann haben Sie das letzte Mal gestaunt? In welcher Situation blieb Ihnen der Mund vor Begeisterung offen stehen? Was hat Sie so fasziniert, dass Ihnen regelrecht die Worte fehlten und Sie nur noch ein bewunderndes OH von sich geben konnten? Fällt Ihnen eine Situation ein? Das ist gar nicht so einfach. Auch mir ist spontan zunächst gar nichts eingefallen. Mit dem Erwachsenenwerden verlernt man das Staunen. Kinder, die können herrlich staunen. Aber wir Erwachsenen sind doch so rational und aufgeklärt, dass uns so leicht nichts mehr begeistern kann. Die Worte fehlen uns nur noch selten. Alles kann man doch irgendwie erklären, warum soll man dann darüber staunen?

Unser heutiger Predigttext lädt uns wieder neu zum Staunen ein. Wir haben die Worte aus dem Römerbrief eben gehört.

Paulus staunt. Das erste Wort des Textes ist ein staunendes und bewunderndes OH. Nachdem Paulus die ersten 11 Kapitel des Römerbriefes geschrieben hat, fehlen ihm nun die Worte. So mächtig und überwältigend ist für ihn das, was er da verfasst hat. Aber er staunt nicht, weil er seinen Brief und seine Gedanken so überwältigend findet, sondern weil ihn Gott in seinem Handeln mit und für die Welt überwältigt hat. Paulus staunt über Gott. Daher mein erster Punkt:

1. Staune über Gott!

Paulus bedenkt in den ersten Kapiteln des Römerbriefes die Situation der Menschen und das Handeln Gottes. Er weiß, dass wir Menschen alle Sünder sind, dass wir deshalb alle verloren sind und wir den Tod verdient haben. Aber Paulus erkennt auch, dass das nicht alles ist. Die Geschichte geht weiter, weil Gott seinen Sohn Jesus Christus in die Welt geschickt hat, der uns durch seinen Tod mit Gott versöhnt hat. Der am Kreuz unsere Schuld getragen hat. Durch seine Vergebung sind wir neue Menschen  – Kinder Gottes. In und aus seiner Gnade können wir leben. Dieses neue Leben können wir uns nicht verdienen. Wir können es uns nur schenken lassen.

Als Kinder Gottes kann uns nichts und niemand mehr trennen von der Liebe Gottes. Und auch mit seinem Volk, dem Volk Israel hat Gott einen Plan. Paulus ist sich sicher, dass Gott sein Volk nicht vergessen hat, sondern in seinen großen Heilsplan eingebunden hat.

Paulus reflektiert das eben Geschilderte und schreibt es auf. Und während er das tut, wird ihm bewusst, dass Gott DEN PLAN überhaupt hat. Ihm wird bewusst, dass er ein Stück davon erkennen durfte, aber dass Gottes Gedanken noch so viel größer sind. Sie sind so groß und tief, dass sie für uns Menschen immer unfassbar bleiben. Doch der Teil von Gottes Plan, den Paulus schon erkennen und verstehen kann, der begeistert ihn. Das ist schon so wunderbar für ihn, dass ihm der Mund offen stehen bleibt. Ich kann mir regelrecht vorstellen, wie er seine Feder zur Seite legt und total überwältigt vor der Größe Gottes auf die Knie geht. OH  welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!

Wann haben Sie das letzte Mal über Gott gestaunt? Begeistert Sie Gottes Handeln mit und für die Welt noch, oder ist das für Sie alles kalter Kaffee? Ich glaube, dass uns das Staunen immer dann schwerfällt, wenn wir meinen, uns alles rational erklären zu können. Wenn ich weiß, wie etwas funktioniert und mir die Hintergründe erklären kann, dann bleibt mir der Mund nicht offen stehen.

Wenn ich etwas berechnen und erklären kann, dann habe ich es in der Tasche. Dann steh ich über dem Geschehen und kann es unter Umständen sogar lenken oder beeinflussen. Staunen brauche ich über etwas, das ich mir erklären kann, jedenfalls nicht mehr.

Kann es sein, dass es uns oft genau deshalb schwerfällt über Gott zu staunen, weil wir meinen, ihn in der Tasche zu haben? Wir meinen, Gott auch rational erklären und in ein System bringen zu können. Wir denken, wir könnten die Tiefe seines Reichtums, seiner Weisheit und seine Erkenntnis genau berechnen. Warum und worüber sollen wir da noch staunen? Wir haben Gott berechnet und verstanden. Wir kennen seinen Plan und seine Karten. Ist es so?

Oder gilt genau das Gegenteil? Wenn die Wege Gottes unausforschlich für uns sind und wir seine Gedanken nicht verstehen können, dann macht es ja gar keinen Sinn über Gott nachzudenken. Die Tiefe seiner Weisheit und Erkenntnis, ist so tief, dass es sich gleich gar nicht lohnt, hineinzuschauen. Gott und seine Gedanken sind für uns Menschen unbegreiflich. Es lohnt sich nicht, zu versuchen, ihn zu verstehen. Eigentlich ist damit alles Studieren und in der Bibel Forschen, alles Predigen und Lehren und jedes Bemühen Gott besser kennen zu lernen umsonst. 

Alles, was uns bleibt, ist, diesen Gott, der so unbegreiflich und damit so weit weg von uns ist, anzubeten und zu bewundern. Sagen können wir eigentlich gar nichts über ihn. Ist es so?

Ich denke, dass wir gerade bei Paulus sehen, dass weder Möglichkeit 1 noch Möglichkeit 2 zutrifft. Wir haben Gott zwar einerseits nicht in der Tasche, aber andererseits wissen wir dennoch einiges von ihm. Paulus kommt gerade durch sein Nachdenken über Gott und die Pläne Gottes ins Staunen und Loben.

Es ist nicht so, dass wir nichts über Gott wissen und sagen können. Wäre es so, dann wäre tatsächlich jedes studieren, predigen und nachdenken über Gott reine Spekulation. Aber Gott hat sich in Jesus Christus, seinem Sohn gezeigt und er hat uns sein Wort, die Bibel gegeben. Wir können also durchaus von Gott reden und über Gott nachdenken.

Er hat uns in Jesus Christus gezeigt, dass er das Heil der Menschen möchte. Damit hat er uns seinen Heilsplan gezeigt. Und dennoch werden wir immer wieder auf Fragen stoßen, auf die wir keine Antwort haben.  Alles Reden von Gott wird immer wieder an seine Grenzen kommen.

Unser System wird nie ganz aufgehen, weil Gott größer ist als all unsere Gedanken, weil unser Denken hier auf der Erde eben nur Stückwerk ist und weil wir alles erst undeutlich durch einen Spiegel erkennen können. Erst wenn wir einmal bei Gott sein werden, werden wir ihn von Angesicht zu Angesicht sehen und erkennen.

Wenn Ihnen also jemand jede Frage des Glaubens beantworten kann, den Lauf der Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft in ein scheinbar wasserdichtes System packen kann und dabei noch genau weiß, was sich Gott dabei gedacht hat, dann seien Sie vorsichtig. Die Tiefe Gottes ist mit Sicherheit noch tiefer.

Der Theologe Heinz Zahrnt beschreibt diesen Sachverhalt in einem sehr schönen Bild. Er vergleicht das Theologie treiben – und ich denke, das gilt für jedes Nachdenken über Gott – mit einem Dombau. Dieser Dom kann und darf aber niemals fertig werden, weil der Himmel immer hereinschauen soll. Deshalb kann der Schlussstein nie gesetzt werden. Der Schlussstein trägt und hält aber das Gewölbe. Wenn dieser nun nicht gesetzt werden kann, stürzt das Gewölbe immer wieder ein. Letztlich scheitert die Theologie immer wieder an der Größe ihres Gegenstandes.

Aber trotzdem können wir nicht aufhören zu bauen. Wir müssen es immer wieder wagen als Menschen von Gott und über Gott zu reden.

Das Dach muss offen bleiben. Der Himmel muss in unseren Dom hereinschauen. Und wenn der Himmel noch hereinschauen kann, dann heißt das, dass wir auch noch auf den Himmel hinausschauen können. Diese Dachlucke lässt uns den Raum zum Staunen. Lassen Sie sich von Paulus anstecken und schauen Sie aus dem Loch im Dach. Wenn Sie das Gefühl haben, bei einer Frage nicht weiterzukommen oder eine Bibelstelle nicht zu verstehen, dann verzweifeln Sie nicht daran. Erklären Sie Gott nicht für unlogisch und unbrauchbar, nur weil Sie ihn sich nicht erklären können. Erlauben Sie es sich, wie Paulus mit offenem Mund vor Gott stehen zu bleiben und über die Tiefe seines Reichtums, seiner Weisheit und seiner Erkenntnis zu staunen.

Und das kann auch im ganz Kleinen anfangen. Staunen Sie über seine wunderbare Natur. Staunen Sie, wenn sie die vielen verschiedenen Vogelstimmen am frühen Morgen hören. Staunen Sie über die vielen einzigartigen und wunderbaren Menschen, die er geschaffen hat. Staunen Sie über seine Führung in Ihrem Leben.

Und staunen Sie immer wieder, wenn Sie aufs Kreuz blicken und bedenken, dass er für Sie gestorben ist. 

Staunen hilft uns, die Verhältnisse zu ordnen. Indem wir über Gott staunen, erkennen wir ihn als Gott an. Denn wenn wir Gott begreifen könnten, dann wäre er nicht mehr Gott, sondern ein Götze. Daher ein zweiter Gedanke:

2. Lass Gott Gott sein!

Paulus unterstreicht die Tiefe und Größe Gottes, indem er drei Fragen stellt:  1. Wer hat des Herrn Sinn erkannt? 2. Wer ist sein Ratgeber gewesen? (Jesaja 40,13) und 3. »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste«? (Hiob 41,3)

Alle drei Fragen haben dieselbe Antwort: NIEMAND.

Niemand kann sagen, dass er Gottes Sinn, seine Gedanken kennt. Niemand kann sagen, dass er Gott einen Rat gegeben hat. Gott braucht keine Ratgeber, da er selbst in allem der Spezialist ist. Er hat den vollen Durch- und Überblick.

Wenn wir Gott beraten wollten, dann würden wir das System umdrehen, so wie wenn ein Patient seinem Arzt plötzlich erklären würde, wie seine Behandlung aussehen muss oder wie wenn eine Maschine ihrem Erfinder die Anleitung erklären würde. Niemand kann Gott einen Rat geben und niemand hat den Anspruch irgendetwas von Gott zurückzuverlangen, weil Gott ihm das noch schuldig wäre.

Gott ist der Schöpfer und wir sind seine Geschöpfe. Er ist der Erfinder und wir sind seine Erfindung.

Dieses Verhältnis muss uns bei all unserem Tun und Denken immer wieder bewusst sein.

Es hat zwei Auswirkungen.

Zum einen weist es uns unseren Platz zu und uns in unsere Schranken als Menschen zurück. Wir sind Menschen und nicht Gott. In einer Zeit, in der wir denken, dass Wissenschaft und menschliche Erkenntnis zu allem fähig ist, in einer Zeit, in der wir als Menschen über Leben und Sterben selbst bestimmen wollen, wo wir selbst Gott spielen wollen, ist es gut, an dieses grundlegende Verhältnis erinnert zu werden.

Zum anderen ist es ungemein entlastend, zu wissen, dass wir letztlich „nur“ Geschöpfe sind und es einen Gott, unseren Schöpfer gibt, der die ganze Welt in seiner Hand und im Blick hat. Sie müssen die Welt nicht retten und ich auch nicht. Gott sei Dank! Selbstverständlich sollen wir uns in Gottes Dienst stellen und uns von ihm dort gebrauchen lassen, wo wir an und für diese Welt arbeiten können. Aber das große Ganze hat er in der Hand.

Gott ist Gott. Bei all unserem Reden und Nachdenken über Gott und bei all unserem Handeln und Entscheiden muss uns dieses Verhältnis immer wieder bewusst sein. Gott ist Gott. Darum machen Sie sich nicht größer als Sie sind, denn damit machen Sie ihn kleiner als er ist.

Lassen Sie uns vielmehr diesen großen Gott anerkennen und über ihn staunen. Eine solche Haltung führt uns zum dritten und letzten Punkt:

3. Gib Gott die Ehre!

Paulus erstarrt nicht vor der Größe Gottes. Er hält inne, er staunt über Gott und wird sich neu über sein Verhältnis zu Gott klar, aber er erstarrt nicht. Die Tiefe und Unfassbarkeit Gottes, lässt Paulus nicht resignieren.

Er gibt nicht entmutigt auf und wirft frustriert das Handtuch, im Sinne von: Eigentlich bin ich doch nur eine kleine Heuschrecke. Was kann ich schon über Gott wissen oder sagen?

Paulus ist sich über das Verhältnis klar. Er ist weit davon entfernt alles verstanden, erklärt oder bewiesen zu haben. Doch was er verstanden hat, das treibt ihn in die Anbetung Gottes. Seine Erkenntnis wird zum Bekenntnis und sein Bekenntnis zum Lobpreis für diesen großen Gott:

Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Römer 11, 36

Von Gott dem Schöpfer kommt alles her. Er hat diese Welt erschaffen und er hat Sie und mich gewollt und erdacht.

Durch Gottes Handeln werden wir jeden Tag von ihm begleitet und geführt. Er sorgt für unser tägliches Überleben und versorgt uns mit allem, was wir brauchen.

Und letztlich läuft alles auf ihn hin. Das Ziel aller Geschöpfe ist ein Leben in Gottes Gegenwart. Bei ihm.

Gott macht Geschichte gestern, heute und morgen.  Weil unsere Herkunft, unser Sein und unsere Zukunft in Gottes Hand liegen, gebührt ihm die Ehre in Ewigkeit.

Gott die Ehre geben heißt, ihm den Platz einzuräumen, der ihm zusteht. Es heißt anzuerkennen, dass er Gott ist und über ihn zu staunen.

Und so will ich Sie heute Morgen einladen, in den Lobpreis des Paulus miteinzustimmen. Fangen Sie wieder neu an, über Gott zu staunen. Vielleicht bei ihrem Sonntagsspaziergang heute Nachmittag, vielleicht wenn Sie nächste Woche in seinem Wort lesen oder ihm ganz persönlich im Gebet begegnen. Lassen Sie Gott Gott sein, in dem Wissen, dass nicht Sie, sondern er die Welt in der Hand hält. Und dann stimmen Sie mit Paulus ein und geben Gott die Ehre mit Worten und Liedern, aber auch indem Sie ihm den Platz in Ihrem Leben einräumen, den er verdient hat: Den ersten!

Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.

Die Predigt wurde am 12. Juni 2022 am Waldheim in Ruit in einem ökumenischen Gottesdienst gehalten.
Tags

No responses yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert