Liebe Gemeinde,
gehen Sie lieber bei Tag allein durch den Wald oder bei Nacht? Fühlen Sie sich in Stuttgart auf dem Schlossplatz tagsüber oder nachts wohler? Und wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit die Wahl zwischen einem beleuchteten Fahrradweg und einem ohne Laternen haben – für welchen entscheiden Sie sich? – Ich habe zu diesen Fragen jetzt keine repräsentativen Umfragewerte gefunden, aber ich vermute, dass es vielen von euch und Ihnen so geht wie mir: Bei Tageslicht fühle ich mich grundsätzlich sicherer und ich nehme definitiv den Weg mit den Straßenlaternen.
Die Dunkelheit ist oft automatisch mit Gefahr, Schutzlosigkeit, Verbrechen und ganz allgemein ausgedrückt mit unguten Dingen verknüpft. Das Licht dagegen löst meistens positive Assoziationen in uns aus: Aufklärung, Sicherheit, Wärme, Orientierung und vielleicht auch Geborgenheit.
Auch Paulus greift im Epheserbrief auf den Gegensatz von Licht und Dunkelheit bzw. Finsternis zurück. Auch er verknüpft jeweils bestimmte Dinge mit den beiden „Bereichen.“ Und er macht ganz klar, in welchen Bereich Jesusnachfolger gehören. Ich lese Eph 5,8b-14:
Führt also euer Leben wie Kinder des Lichts! – Denn das Licht bringt als Ertrag lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. – Prüft also bei allem, was ihr tut, ob es dem Herrn gefällt! Und beteiligt euch nicht an Taten, die der Finsternis entstammen und fruchtlos sind. Deckt vielmehr solche Taten auf! Denn es ist eine Schande, auch nur von dem zu reden, was manche im Verborgenen tun. Aber alles, was aufgedeckt ist, wird dann vom Licht erleuchtet. Und alles, was vom Licht erleuchtet ist, wird selbst zum Licht. Deswegen heißt es: »Wach auf, du Schläfer, und steh auf vom Tod! Dann wird Christus dein Licht sein.«
Epheser 5, 8b-14
Führt also eurer Leben wie Kinder des Lichts! (Vers 8b)– Dieser Aufforderung merkt man an, dass sie eine Schlussfolgerung aus etwas ist, das bereits gesagt oder erläutert worden ist. Auf welche Seite Jesusnachfolger gehören, ist für Paulus ganz klar. Mit verschiedenen Gegensatzpaaren stellt er alt und neu gegenüber. In Kapitel 5 benutzt er den Gegensatz von Finsternis und Licht. Er schildert relativ ausführlich, welche Taten und Verhaltensweisen für Christen nicht mehr gehen und wie sie sich stattdessen verhalten sollen. Und dann schreibt er im ersten Teil von Vers 8: „Früher habt ihr nämlich selbst zur Finsternis gehört. Aber jetzt seid ihr Licht, denn ihr gehört zum Herrn.“ Und dann folgt die Aufforderung; „Führt als euer Leben wie Kinder des Lichts.“ Euer Handeln und Denken, ja euer ganzes Leben soll eurem Sein entsprechen.
Aber was heißt das konkret? Und wie geht das?
Bevor wir uns das genauer anhand der Schilderungen von Paulus anschauen, müssen wir uns eines klar machen: Licht entsteht nur da, wo es eine Form von Energie gibt. Jede Lichtquelle braucht eine Energiequelle, die es leuchten lässt. Eine Kerze braucht einen Funken, der sie entzündet und das Wachs als Brennmaterial. Eine Taschenlampe braucht Batterien oder einen Akku. Dann gibt es noch so Lichtquellen wie zum Beispiel Öllampen, heute vor allem Outdoor-Menschen noch bekannt, bei denen der Brennstoff die Energie liefert. Die meisten unserer Lichtquellen sind einfach direkt ans Stromnetz angeschlossen.
Jesus sagt: Ich bin das Licht der Welt. (Joh 8,12) Und In der Bergpredigt sagt er zu seinen Nachfolgern: Ihr seid das Licht der Welt. (Mt 5,14). Aber nicht, weil wir sind wie Jesus, sondern weil die Verbindung zu ihm uns erleuchtet. Weil er die Energiequelle ist, die uns zum Leuchten bringt. In Johannes 12 heißt es: Wer an das Licht glaubt, der wird zu einem Kind des Lichts (Joh 12,36).
„Führt also euer Leben wie Kinder des Lichts!“ (Vers 8b) – Diese Aufforderung von Paulus muss keinen unter Druck setzen. Sie soll niemand signalisieren: „Du bist zu schlecht. Du bringst zu wenig Energie auf. Du kannst es nicht.“ Nein, es ist die Aufforderung zum Weiterleben und Weitergeben dessen, was wir von Jesus Christus empfangen.
Physikalisch ist das mit dem Licht vielleicht noch etwas komplizierter und vielleicht habe ich das gerade auch nicht 100% korrekt dargestellt – aber ich bin ja keine Physikerin, sondern Theologin. Und noch viel wichtiger Christin. Und da kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Wer versucht, aus sich selbst zu leuchten, aus eigener Kraft Licht zu sein und Licht zu leben, der wird scheitern. Der Akku ist irgendwann leer, der Wind, der die Flamme bedroht, pustet irgendwann zu heftig. Licht sein und als Kind des Lichts in der Welt leben, kann man nur in Verbindung mit dem Licht der Welt höchstpersönlich. Christus bringt uns zum Leuchten!
Aber was heißt das nun konkret? Wie sieht das aus?
Paulus schildert zunächst, das Licht sichtbar neues hervorbringt. Er nennt drei Erträge des Lichts: Güte – oder wörtlich auch Gutsein-, Gerechtigkeit und Wahrheit. Gott selbst erweist sich uns immer wieder als der Gute in unserem Leben. Wenn wir genau hinschauen, dann erkennen wir, wie viel Gutes er uns bis zum heutigen Tag geschenkt hat. Wenn wir das bedenken, dann verändert das unseren Lebensstil zum Guten. Dann wollen wir anderen Gutes, wir beten für sie, wir denken für sie mit und an sie und helfen ihnen. Weil Gott so gut zu uns ist, sind wir gut zu anderen.
Außerdem ist Gott gerecht und wir sind von Gott Gerechtfertigte. Durch Jesus Christus, seinen Tod und seine Auferstehung, ist unser Schuldschein getilgt. Aus diesem Zustand heraus, leben wir Gerechtigkeit. Wir tun anderen kein Unrecht. Wir pochen nicht immer auf unser Recht. Wir verurteilen niemand, weil Christus uns auch nicht verurteilt. Wir leben Vergebung, indem wir unsere eigenen Fehler einsehen, um Vergebung bitten und anderen diese zugestehen. Weil wir durch Christus Freigesprochene sind, leben wir mit einer inneren Freiheit, die andere Menschen aufatmen lässt und auf unseren Befreier, das Licht der Welt, hinweist.
Der dritte Ertrag des Lichts ist die Wahrheit. Christus selbst ist die Wahrheit. Durch ihn können wir wahrhaftig leben. Das heißt, wir müssen uns und auch sonst niemand etwas vormachen. Wir legen unsere Masken und unser Tun-als-ob ab und ermöglichen durch unsere Ehrlichkeit auch anderen echt zu sein.
Alle drei Erträge hängen miteinander zusammen und alle drei Erträge können wir nicht aus uns selbst hervorbringen – auch wenn wir uns noch so anstrengen. Wir brauchen Christus das Licht, um zu leuchten.
Wir können nicht aus uns selbst leuchten und dennoch ist es auch in unserem neuen Sein als Kinder des Lichts keine Selbstverständlichkeit, dementsprechend zu leben und zu leuchten. Wäre es so, hätte Paulus auf die folgenden drei Mahnungen verzichten können. „Prüft also bei allem, ob es dem Herrn gefällt. Beteiligt euch nicht an Taten, die der Finsternis entstammen und fruchtlos sind, deckt vielmehr solche Taten auf.“ Offensichtlich ist das Ganze dann doch kein Selbstläufer. Wir sind aufgerufen, darauf zu achten, ob unser Tun mit unserem Sein übereinstimmt. Es gilt mitzudenken und auch kritisch sich selbst und sein Leben zu reflektieren. Nicht mitzumachen und gegebenenfalls Dinge ans Licht zu bringen.
Interessant finde ich, dass da steht: Prüft, ob es dem Herrn gefällt. Das heißt, der Maßstab ist, ob Christus an meinem Tun Freude hat oder nicht, ob es ihn ehrt oder verletzt. Und das heißt wiederrum, dass es nicht die Traditionen der Gemeinden, nicht mein netter Mitchrist, nicht die Eltern und nicht einmal die Pfarrerin ist, die die Maßstäbe unseres Tuns festlegen. Wir müssen vor niemand Rechenschaft abgeben als vor dem Herrn selbst. Das reicht aber auch völlig aus. Denn wenn wir in Verbindung mit Christus dem Licht leben, dann wissen und spüren wir selbst sehr gut, wann wir uns von ihm entfernen und bei welchen Aktionen, wir versuchen, unser Licht etwas zu dimmen oder sogar bewusst ausschalten. Zum Beispiel bei der Steuererklärung. Oder wenn über einen nervigen Lehrer hergezogen wird. Oder beim Einkauf unserer Kleidung oder unseres Kaffees. Werke der Finsternis sind unfruchtbar. Das heißt sie bringen keinen Ertrag. Sie haben nichts mit Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit zu tun. Für mich ist das ein gutes Prüfkriterium.
Und noch ein Gedanke zur dritten Aufforderung: Christen sollen die Taten, die aus der Finsternis kommen, stattdessen aufdecken. Meint das Petzen? Mit dem Finger auf andere Zeigen? Nein, darum geht es nicht. Das Aufdecken geschieht dadurch, dass wir nicht mitmachen. Und stattdessen das Gegenteil vorleben. Das in unserem Leben erkennbar wird, dass Christus durch uns leuchtet. Im besten Fall bringt das die anderen zum Nachdenken und Umdenken. Unsere Ausstrahlung ist für sie anziehend. Sie lockt sie aus der Dunkelheit und weist sie schließlich auf die Lichtquelle schlechthin, auf Christus hin.
Diesen Weg vom Dunkel zur Lichtquelle und damit auch den letzten Teil des Predigttextes möchte ich Ihnen und euch anhand eines Mannes schildern, der diesen Wandel durchlebt hat: Wilhelm Buntz, der sogenannte Bibelraucher. Dieser Mann hat eine sehr traumatische Kindheit und Jugend durchlebt. Schon als Schüler wollte er Gangster werden. Und wenigstens in diesem Punkt war er zielstrebig. Weit über 100 Straftaten gehen auf sein Konto – bis hin zum Totschlag. Nach Jahren der Flucht landete er schließlich im Gefängnis. 14 Jahre mit anschließender Sicherheitsverwahrung – so lautete das Urteil. Auch im Knast war er noch der knallharte Typ und ständig in Konflikte verwickelt. Häufig musste er deshalb in die Arrestzelle. Und das war das Beste, was ihm passieren konnte, denn in dieser Zelle fing er ein neues Leben mit Jesus Christus an. Gott war ihm seinem Wort der Bibel begegnet. Dabei hatte er diese eigentlich nur als Zigarettenpapier in die Zelle mitgenommen. Doch bevor er die Seite jeweils verrauchte, las er sie. Jede einzelne. Zuerst das ganze Alte und dann das Neue Testament. Dabei kam er immer mehr ins Gespräch mit Gott. Am Ende beginnt er neu mit Jesus. Und das verändert ihn komplett. Paulus schreibt: „Alles, was vom Licht erleuchtet ist, wird selbst zum Licht.“ Bei Wilhelm Buntz war das Leben vor seiner Bekehrung und danach tatsächlich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das merkten alle, die jemals mit ihm zu tun hatten.
In seinem Buch schildert er eine Begegnung zwischen ihm und seinem ehemaligen Mitgefangenen Marino. Marino saß noch immer im Gefängnis in Pforzheim – Buntz war zum Predigen dort. Nach der Predigt bat er Buntz um ein Gespräch. „Weißt du Willi, als ich gehört habe, dass du fromm geworden bist, da habe ich gedacht: Was für eine gute Show! Richtig klasse! Und wenn du wieder entlassen bis, dann ist es wieder vorbei. Aber heute habe ich dir in die Augen geschaut. Früher hattest du eiskalte Augen, sie waren mausetot. Wenn ich dir heute in die Augen sehe, dann sind sie lebendig.“ (Bibelraucher, 248) Butz interpretiert diese Situation und schreibt: „[D]ie Menschen schauen uns ins Gesicht. Und wenn die darin das Leuchten erkennen, das Gott in uns entzündet hat, dann spüren sie das. Und schon dann sind wir Licht in dieser Welt.“ (ebd.)
„Führt also euer Leben als Kinder wie Kinder des Lichts.“ – Die Menschen schauen uns ins Gesicht und sie schauen, wie wir leben. Als Kinder des Lichts haben wir den Auftrag, das Licht und die Liebe Jesu und damit Hoffnung und Wärme in unsere Welt zu bringen. Und weil ich es selbst nicht besser sagen kann, möchte ich nun abschließend noch einmal ein paar Sätze aus dem Epilog von Wilhelm Buntz vorlesen: „Wir dürfen uns nicht beklagen, dass die Welt so dunkel ist. Wir sind dafür verantwortlich, sie heller zu machen. […] Ihr seid das Licht der Welt – das ist keine Aufforderung. Es ist eine Beschreibung der Wirklichkeit. Wir sind das Licht der Welt. Es liegt an uns, ob wir leuchten. Wenn wir nicht leuchten, bleibt die Welt ein dunkler Ort. Nur wenn Gottes Liebe durch uns, durch unsere Liebe zu Menschen und durch unsere Vergebungsbereitschaft erstrahlt, kann der Ort, an dem wir gerade sind, zu einem hellen Ort werden. Gott sein Dank müssen wir das nicht aus eigener Kraft machen – Gott tut es.“
Amen.
–
Die Predigt wurde am 27. Juli 2024 in der Auferstehungskirche in Ruit gehalten.
One response
http://toyota-porte.ru/forums/index.php?autocom=gallery&req=si&img=3231