Liebe Gemeinde,

Friede, Freude, Lebkuchen – alle Jahre wieder ist es das gleiche. In der Adventszeit bereiten wir uns äußerlich und innerlich auf das Weihnachtsfest vor. Wir backen Plätzchen, kaufen Geschenke, dekorieren unsere Wohnungen und üben vielleicht auch ab und zu das nette Lächeln, das wir dann unter dem Weihnachtsbaum aufsetzen. Weihnachten, das Fest der Freude – da muss doch alles harmonisch sein. Weihnachten, da geht es um Liebe und Frieden – da wollen wir uns doch alle von unserer besten Seite zeigen. Nach einer Umfrage wünschen sich gut zwei Drittel der Deutschen an Weihnachten hauptsächlich und vor allem anderen eine harmonische Familienfeier. Viele strengen sich dafür sehr an – reißen sich wenigstens für den einen Abend oder den einen Tag zusammen. Alles, was unter der Oberfläche brodelt, wird zur Seite geschoben. Oft gelingt das, und irgendwie ist dann auch was vom Frieden und der Freude zu spüren. Oft gelingt es aber auch nicht. Einer sagt ein falsches Wort und die Harmonie ist dahin. 41% der Deutschen streiten gerade in der Weihnachtszeit miteinander.Dabei warten wir doch in der Adventszeit auf den, der auch der Friedefürst genannt wird. Weihnachten ist das Fest der Liebe. Warum schaffen wir es gerade da oft nicht, uns gegenseitig in Liebe zu begegnen? Friede, Freude, Lebkuchen – wie kann das gelingen?Ein Weg zeigt uns unser heutiger Predigttext. Er ist nicht direkt für die Konflikte unterm Weihnachtsbaum geschrieben, sondern auf dem Hintergrund eines Streites in der Gemeinde in Rom entstanden. Paulus schreibt dieser Gemeinde, weil es in ihr zwei Gruppen gibt, die sich immer wieder in die Haare kriegen. Da sind zum einen Christen, die einen jüdischen Hintergrund haben. Zum anderen gibt es die sogenannten Heidenchristen. Das sind Menschen, die vorher einem anderen Glauben, zum Beispiel dem griechischen Götterkult angehört haben. Beide haben unterschiedliche Vorstellungen, welche Gebote aus dem Alten Testament für sie als Christen noch gelten. Deshalb geraten sie bei verschiedenen Themen aneinander. Paulus ist aber der Meinung, dass nicht das Trennende, sondern das Verbindende im Vordergrund stehen muss. Er zeigt einen Weg auf, wie sie miteinander umgehen können. Ich lese aus dem 15. Kapitel im Römerbrief:

5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht,
6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.
8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;
9 die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«
10 Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!«
11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!«
12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.«
13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Römer 15, 5-15

„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.“ Das ist die zentrale Aufforderung, die Paulus an die Gemeinde hat. So sollen die, die zu Christus gehören, trotz aller Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen. Und ja, damit ist doch eigentlich auch alles gesagt. Auch in Bezug auf unsere Frage, wie ein harmonisches Zusammensein an Weihnachten gelingen kann:

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat.

Römer 15, 7

Das setzen Sie in den nächsten Tagen einfach um und dann ist ein streitfreies, harmonisches und friedliches Weihnachten garantiert.  Und eigentlich dürfte uns das ja auch gar nicht so schwerfallen mit der Annahme. Annahme, Akzeptanz, Toleranz sind ja in unserer Gesellschaft absolute Trendwörter. Wir werden immer mehr dahin erzogen, den anderen einfach so, wie er ist, okay zu finden. Jeder soll leben, wie er will. Jeder soll glauben, was er will. So lange mich in meiner Art und Weise zu leben niemand hindert, will auch ich niemand reinreden. Ich meine, so eine Haltung hat aber mehr mit Gleichgültigkeit als mit Annahme zu tun. Wenn der andere alles tun und lassen kann, so lange es mich nicht tangiert, dann ist er mir eigentlich egal. Die Annahme von der Paulus hier spricht, ist eine andere. Sie hat eine ganz andere Qualität. Paulus sagt: Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat. Der Vergleichspunkt ist die Annahme, wie sie Jesus Christus praktiziert hat. Das ist der Maßstab. Das scheint dann doch nicht so einfach zu sein. Um anzunehmen, wie Christus angenommen hat, müssen wir seine Art der Annahme genauer in den Blick nehmen. Ein sehr anschauliches Beispiel, wie Jesus Christus Menschen annimmt, findet sich in der Erzählung, in der eine Frau zu Jesus gebracht wird, die die Ehe gebrochen hat. Die Schriftgelehrten wollen, dass Jesus ein Urteil über sich spricht. Sie erwarten von ihm, dass er sie, wie es in den alten Schriften steht, zur Steinigung verurteilt. Jesus sagt daraufhin, wer ohne Sünde sei, solle den ersten Stein auf sie werfen. Nach und nach gehen alle Ankläger weg. Nur einer, nur Jesus selbst hätte das Recht gehabt, einen Stein zu werfen, denn er war der einzige, der wirklich ohne Sünde war. Aber Jesus wirft keinen Stein. Er verurteilt die Frau nicht. Er nimmt sie stattdessen an. Aber er sagt nicht zu ihr: „Ist mir egal, wie du lebst. Jeder darf ja mit seinem Leben machen, was er will.“ Nein, er sagt zu ihr: „Ich verurteile dich nicht. Aber sündige von jetzt an nicht mehr.“So wie Jesus die Ehebrecherin angenommen und so nimmt er auch uns an. Alles, was uns von ihm trennt, hat er mit seinem Kommen und mit seinem Sterben für uns auf sich genommen. Er streckt mir seine offene Hand entgegen und egal, was ich getan habe, ich bin nicht zu schlecht, um meine Hand in seine zu legen. Er verurteilt mich nicht. Er nimmt mich an, so wie ich bin. Und er vergibt mir, was ich falsch gemacht habe. Darin zeigt sich seine Liebe. Ich kann zu Jesus kommen, wie ich bin. Immer. Das ist der eine Teil der Annahme Jesu.Der andere ist der, dass ich aber nicht bleiben muss, wie ich bin. Auch das gehört zu der Annahme nach dem Vorbild Jesu. Ich nenne es Wahrheit. Er findet nicht einfach alles okay, was ich tue, denke und sage. Nein, wenn Jesus mich annimmt, dann möchte er mich auch verändern und mir zeigen, wie er sich ein gutes Leben für mich vorstellt. Er möchte mein Herz verändern, dass es fähig ist, ihn und andere Menschen zu lieben. Gott nimmt mich an, obwohl ich nicht perfekt bin, obwohl ich so oft gegen seinen Willen handle. Wenn diese gute Botschaft mein Herz erreicht, dann verändert mich das. Dann werde ich bereit, auch andere anzunehmen.Für Jesus gehören Liebe und Wahrheit untrennbar zusammen. Das sind die Kriterien echter Annahme. Nur Liebe ist zu wenig, denn Liebe ohne Wahrheit ist keine echte Liebe. Und nur Wahrheit ist zu hart, weil sie den Menschen, der eben immer wieder schwach ist und Fehler macht, aus den Augen verliert. Jesus nimmt uns in Liebe und in Wahrheit hat und so sollen auch wir einander annehmen.Sie denken jetzt vielleicht, das klingt ganz nett, aber was hat das jetzt mit der Situation unter meinem Weihnachtsbaum zu tun? Wie kann diese Annahme nach dem Vorbild Jesu ganz praktisch aussehen?Wenn ich eine Person nach dem Vorbild Christi annehmen soll, dann muss ich zuerst einmal bereit sein, ihr, egal, was zwischen uns steht, in Liebe zu begegnen. Ich muss in meinem Gegenüber einen Menschen sehen, der genauso Fehler macht, wie ich es selbst auch immer wieder tue. Und als zweiter Schritt müssen wir dann ehrlich zueinander sein. Nicht so tun, als wäre nichts gewesen und alles runterschlucken, sondern sagen, wo die Verletzungen liegen, was uns gekränkt und geärgert hat. So kommen beide Dinge, Liebe und Wahrheit zusammen und so ist Vergebung und echte Annahme möglich. Und Vergebung heißt, dass all das alte, das zwischen uns stand, weggewischt ist. Das wird dann auch nicht beim nächsten Konflikt wieder hervorgekramt. Das steht auch in Zukunft nicht mehr zwischen uns. Es mag sein, dass nicht alles direkt vergessen werden kann. Es mag sein, dass der Prozess der Heilung noch Zeit braucht. Aber richtig in Gang kommt dieser Prozess erst durch den gegenseitigen Zuspruch der Vergebung, durch die Annahme. Erst dann bin ich nicht mehr auf das Trennende, sondern auf das Verbindende fixiert. Christus streckt mir seine Hand entgegen. Wie kann ich da dem anderen meine Hand verweigern oder die versöhnende Hand des anderen ausschlagen?Gleichzeitig ist das viel leichter gesagt als getan. In der Praxis ist das ganz schön schwierig. Das weiß auch Paulus, deshalb ist es gut, dass die Kraft für dieses Annehmen nicht aus uns kommen muss. Die Grundlage schafft Gott. Paulus schreibt: „Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht“ – Paulus macht es von Gott abhängig, ob die Gemeinde es schafft, harmonisch und friedlich miteinander umzugehen. Nicht die menschlichen Anstrengungen sind es, sondern es ist eine Gabe Gottes. Und Gott wird in diesem Zusammenhang von Paulus als Gott der Geduld und Gott des Trostes charakterisiert. Geduld und Trost sind zwei Dinge, die wir brauchen, um uns anzunehmen. Es braucht Geduld, sich gegenseitig zuzuhören, Dinge aufzuarbeiten und den anderen zu verstehen. Und es braucht Trost. Weil wir immer wieder Dinge sagen werden, die dem anderen weh tun. Weil wir uns immer wieder unverstanden fühlen werden. Und weil es auch scheitern kann. Gott schenkt uns die Geduld und den Trost. Und er gibt uns auch den Mut und die Kraft, den ersten Schritt zu tun, um das versöhnende Gespräch zu suchen. Mit seiner Hilfe können wir rechnen. Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.Bei der Annahme von uns Christen geht es um ein höheres Ziel. Es geht nicht nur um Friede und Freude und ein möglichst angenehmes Zusammensein. Es geht nicht nur darum, irgendwelchen Idealen von perfekter Gemeinde oder perfekter Familie zu entsprechen. Nein, es geht um mehr: Es geht um die Ehre Gottes. Paulus schreibt: „damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ Bei gegenseitigen Annahme von uns Christen geht es um Gott selbst. Er möchte, dass wir, und damit sind alle Christen auf der ganzen Welt, egal welcher Kirche oder Konfession sie angehören, gemeint, dass wir gemeinsam Gott loben. Da sollen keine kleinen Streitigkeiten unterm Weihnachtsbaum und keine großen kirchengeschichtlichen oder kirchenpolitischen Konflikte zwischen uns stehen. Um das Gotteslob zum vollen Klang zu bringen, sollen wir uns annehmen wie Christus uns angenommen hat.Stellen Sie sich abschließend folgende Szene vor: Sie stehen gemeinsam mit allen Christen vor dem Thron Gottes und wie aus einem Mund loben Sie zusammen mit allen anderen Kindern Gottes Ihren himmlischen Vater. Welch atemberaubender Kinderchor. Welch himmlischer Klang. Ein ganz kleiner Appetizer für diesen endzeitlichen Lobpreis ist unser gemeinsames Loben hier auf Erden. So lade ich Sie ein, gemeinsam als Vorgeschmack auf den Himmel „Großer Gott wir loben dich.“ (EG 331,1) zu singen.Haben Sie eine Vorfreude auf den himmlischen Gotteskinderchor gespürt? Das macht Lust auf mehr. Vielleicht können Sie die verbleibende Adventszeit noch dazu nutzen, Menschen in ihrem Umfeld die Hand entgegen zu strecken. Wenn Sie darüber nachdenken, wie Christus sie angenommen hat, bewegt das vielleicht etwas in ihrem Herz und er gibt Ihnen die Kraft, auch anderen die Hand zur Annahme hinzustrecken. Annahme in Liebe und Wahrheit. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Amen.Und weil es gerade so schön war, loben wir Gott weiter und singen jetzt die Verse 2-5 vom gleichen Lied.

Die Predigt wurde am 18. Dezember 2018 in der Stadtkirche St. Veit in Waldenbuch gehalten. 
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