Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich vor, Sie sind einer schönen Stadt unterwegs und entscheiden spontan, auch mal in die Kirche hinein zu schauen. Sie sind neugierig, denn bereits von draußen hören Sie, dass drinnen etwas los ist. Die Türen stehen offen. Sie gehen hinein. Weil gerade jemand redet, setzen sie sich leise in eine der letzten Bänke. Und dann hören Sie zu, was gesprochen wird. Nur leider verstehen Sie kein Wort. Der, der am Mikrofon steht, redet in einer Sprache, die Sie nicht verstehen. Sie sind verwundert. Dann fangen noch andere an zu sprechen. Es sieht für Sie so aus, als würden die Leute nun beten. Aber in verschiedenen Sprachen. Alle gleichzeitig. Und durcheinander. Was würden Sie über die Gemeinde denken? Würden Sie lange dortbleiben?
Vermutlich wäre Ihre Reaktion ähnlich, wie es Paulus im eben gehörten Abschnitt aus dem Korintherbrief schildert. Sie würden die Leute für verrückt halten. Keinesfalls würden Sie sich willkommen oder wohl fühlen. Wahrscheinlich würden Sie die Kirche relativ schnell wieder verlassen, was auch völlig nachvollziehbar wäre.
Das darf nicht passieren, warnt Paulus die Gemeinde in Korinth. So soll es nicht sein. Und deshalb kritisiert Paulus das Verhalten der Korinther in ihren Gottesdiensten und Versammlungen.
Einen Gottesdienst damals in Korinth muss man sich ganz anders vorstellen als einen Gottesdienst bei uns heute. Er war wesentlich lebhafter. Es war nicht so wie bei uns, dass sich eine Pfarrerin oder heute sogar ein Diakon und eine Pfarrerin auf den Gottesdienst vorbereitet haben und diesen dann von vorne mit der Gemeinde gefeiert haben. Damals in Korinth konnte jeder und wollten viele etwas sagen. Prinzipiell ist das ja toll, wenn sich Viele beteiligen wollen, nur ging es einigen in Korinth dabei wohl vor allem um die eigene Profilierung. Diese Gemeindeglieder wollten in erster Linie den anderen zeigen, wie toll sie sind und welch tolle Begabungen sie haben. Vor allem diejenigen, die die Begabung des Redens in unbekannten Sprachen hatten, drängten ans Rednerpult.
Vor der ganzen Gemeinde redeten, beteten und predigten sie in Sprachen, die keiner verstand. Dieses Reden in unbekannten Sprachen steht im Fokus der Kritik von Paulus.
Man nennt dieses Reden auch Zungenrede oder Zungengebet. Viele von uns können damit vermutlich nichts anfangen und sich nur schwer vorstellen, was sich dahinter verbirgt. Es geht beim Reden in unbekannten Sprachen um eine Begabung, die der Heilige Geist einzelnen Menschen gibt. Diese reden, beten und singen dann in einer Sprache, die sie nie gelernt haben und die es so auch gar nicht gibt. Die Menschen erleben dabei eine ganz intensive Zeit mit Gott.
Für Leute, die das noch nie erlebt haben, klingt das erstmal ziemlich skurril. Auch ich war das erste Mal, als ich es miterlebte, ziemlich irritiert und durcheinander. Und genau das ist Paulus Punkt: „Leute, das ist für „Nicht-Insider“ befremdlich, was ihr da macht. Wenn der, der vorne steht, etwas redet, das keiner versteht, bringt es der Gemeinde nichts und die, die neu sind oder nur zufällig mal reinschauen, halten euch für verrückt. Macht das Zuhause für euch. Da könnt ihr mit Gott in eurer unbekannten Sprache reden und beten. Da ist die Begabung nützlich und wertvoll. Aber nicht in der Gemeinde.“
Hier in Ruit haben wir das Problem so nicht. Es kommt in unseren Gemeinden kaum vor, dass viele spontan ans Mikrofon wollen. Und dass jemand öffentlich im Gottesdienst oder bei einer sonstigen Gemeindeveranstaltung in unbekannten und unverständlichen Sprachen redet, passiert auch nicht. Verständlichkeit ist bei uns kein Problem. – Oder doch?
Ich frage mich: Was denkt einer, der sich Sonntagmorgens in einen unserer Gottesdienste „verirrt“? Versteht er uns? Kann er mit den Begriffen, die wir ganz selbstverständlich benutzen, etwas anfangen? Sünde. Gnade. Dreieinigkeit. Barmherzigkeit. Sprechen wir eine Sprache, die alle verstehen oder reden wir „Kirchisch“ und „Frömmisch“ – und schmeißen mit Wörtern um uns, die nur Insider verstehen? Die auf alle eher Außenstehenden und Neuen befremdlich und abstoßend wirken? Manches ist doch zur Floskel und Formel geworden, die nur noch die Alten und die Pfarrer verstehen.
Kennen Sie Predigt-Bingo? Das funktioniert so, dass Sie sich Begriffe oder Formulierungen wie beim Bingo in einen quadratischen Spielplan schreiben. Immer wenn die Pfarrerin oder auch der Diakon eine solche Formulierung sagt, dürfen Sie das Feld durchstreichen. Wer als Erstes eine senkrechte, waagrechte oder diagonale Reihe hat, ruft Bingo und hat gewonnen. Ich möchte Sie mit dieser Spielanleitung natürlich jetzt nicht in Versuchung führen und ja, ich wäre auch irritiert, wenn jemand von Ihnen nachher tatsächlich Bingo schreit, aber ich denke, die Tatsache, dass es so eine Spielidee gibt, zeigt, dass wir in der Kirche zu sehr floskelhafter Sprache neigen. Und dabei verwenden wir Formulierungen, bei denen sich selbst viele treue Kirchgänger schwertun, eine allgemeinverständliche Erklärung zu finden. Das sage ich ganz selbstkritisch. Richtig bewusst wird mir das Problem immer, wenn ich meine Andachten für die Kindergartenkinder vorbereite und probiere, die Dinge in einfachen Worten zu erklären. Das ist nicht einfach. Vermutlich rutschen wir genau deshalb auch immer wieder in eine floskelhafte Sprache ab. Irgendwie ist es doch klar, was wir meinen, wenn ich von der Gnade Jesu Christi reden. Aber irgendwie halt auch doch nicht.
Fakt ist: Wir müssen nicht in fremden Zungen und Sprachen reden, um unverständlich zu sein. Der Autor und Politikberater Erik Flügge schreibt ganz provokativ: „Die Kirche verreckt an ihrer Sprache.“ Flügge gründete unter anderem deshalb einen Masterstudiengang für Glaubenskommunikation an der Universität Bochum. So dramatisch wie Flügge muss man es nicht sehen und man muss auch nicht gleich ein Studium beginnen. Aber doch ist es zentral, dass wir uns um Verständlichkeit bemühen. Im Gottesdienst genauso wie in unseren Andachten in der Jungschar. Und auch im Gespräch über unseren Glauben, das wir am Gartenzaun oder auf der Arbeit führen.
Verständlichkeit beschränkt sich dabei nicht nur auf das gesprochene Wort. Nein, auch der Ablauf des Gottesdienstes, die Lieder, die wir singen und ja, sogar unsere Körpersprache können „kirchisch“ und eher aus- als einladend sein.
Wie geht es Ihnen im Gottesdienst? Egal, ob Sie nur ab und zu mal reinschauen oder ob Sie jeden Sonntag dabei sind. Verstehen Sie, was da passiert? Fühlen Sie sich willkommen und eingeladen oder eher etwas unwohl, ausgeschlossen und unsicher?
Man könnte jetzt ganz gelassen und selbstsicher sagen: „Wer wirklich dazugehört, kann auch alles verstehen.“ Das war vermutlich auch die Haltung einiger Korinther. „Wer wirklich vom heiligen Geist erfüllt ist, kann entweder selbst in unbekannten Sprachen reden oder versteht es. Ist doch also alles kein Problem.“ Warum sollen wir uns als Gemeinde um Verständlichkeit für alle bemühen? Die „Insider“ passen doch gut zusammen. Wer im Konfirmanden- oder Firmungsunterricht einmal gut aufgepasst hat, der kann erklären, warum der Gottesdienst abläuft, wie er abläuft. Wer wirklich dazu gehört, muss doch auch die alten Choräle kennen, schätzen und verstehen. Oder je nach dem, wen man fragt, die neuesten, natürlich auch englischen Worship-Songs. Wer wirklich Christ ist, findet sich in unseren Gottesdiensten gut zurecht. Er fühlt sich willkommen und daheim.
Paulus schreibt ganz am Anfang des Textes
Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
1. Korinther 14,1
Und knüpft damit an das an, was er zuvor geschrieben hat. Da hatte er ausgeführt, dass alles wertlos ist, wenn die Liebe fehlt. Die eben beschriebene Haltung ist lieblos. Wir Gemeinden sollen aber auf dem Weg der Liebe unterwegs sein. Das Bemühen um Verständlichkeit ist ein Schritt auf diesem Weg. Wörtlich steht das: „Jagt der Liebe nach.“ Und hier wird deutlich, dass es ein ständiges Bestreben ist. Das ständig neu geprüft werden muss, ob wir als Gemeinden noch auf dem Weg der Liebe unterwegs sind. So schnell etablieren sich Dinge, die unverständlich und damit ausschließend und befremdlich sind. So leicht rutschen wir in unsere Floskeln ab, anstatt allgemeinverständlich zu kommunizieren.
Diesen Liebesweg hat uns Jesus Christus vorgelebt. Der Jesus, der sagt:
Kommt her zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid. Ich will euch Ruhe schenken.
Matthäus 11,28
Ich stell mir Jesus, wenn er das sagt, so vor, dass er mit weit ausgebreiteten Armen dasteht und mich anlächelt. „Komm her zu mir, wenn du traurig bist, wenn du orientierungslos bist. Wenn du Halt brauchst, wenn du Sinn suchst oder dich fragst, was Wahrheit ist. Komm her, zu mir, wenn dich deine Schuld nach unten drückt, wenn du dir selbst und anderen nicht vergeben kannst. Dann komm, komm zu mir.“ Diese einladende, offene Haltung, das ist der Weg der Liebe. So soll auch Kirche sein. Einladend. Offen. Freundlich.
Klar und für alle verständlich in der Botschaft. Denn Kirche hat die Aufgabe, die Einladung Jesu weiterzugeben und erfahrbar zu machen. Es geht darum, dass Menschen in Verbindung mit Jesus kommen. Dass Leute sich einladen lassen von dem, der sagt: „Kommt her zu mir.“ Dass sie in der Gemeinde und mit der Gemeinde ihre Sorgen und Lasten abladen. Und dass sie in und durch die Gemeinde von Jesus gestärkt werden.
Gemeinden müssen Orte sein, in denen die Liebe Gottes durchfließt zu allen Menschen. Wir große Rohre sozusagen. Und nichts darf diese Rohre verstopfen. Die Liebesbotschaft Jesu, das woran wir glauben, ist zu wichtig, um es durch alltagsferne und unverständliche Sprache und Formen aufzuhalten oder unverständlich zu machen.
Manch einer mag jetzt Verwässerung befürchten und Angst haben, dass bei so viel Verständlichkeit die Inhalte auf der Strecke bleiben. Dass die Botschaft gar so simpel gemacht werden soll, dass sie beliebig oder womöglich sogar inhaltsleer wird. Aber dem ist nicht so, denn verständlich zu reden und so zu verkündigen, dass es bei den Zuhörern ankommt, ist auch eine Gabe des Heiligen Geistes. Paulus nennt sie prophetisches Reden.
Dieses prophetische Reden stellt er dem Reden in unbekannten Sprachen gegenüber. Dabei denken einige wahrscheinlich zuerst an die großen Propheten des Alten Testamentes, wie Jesaja oder Jeremia, die im Auftrag Gottes Vorhersagen über die nahe und ferne Zukunft gemacht haben. Prophetie ist aber mehr als das. Ganz grundsätzlich ist Prophetie ein persönlich zugesprochenes, tröstendes, ermutigendes oder manchmal auch ermahnendes Wort. Und ganz praktisch heißt Prophetie: Gottes Wort und die gegenwärtige Situation finden zusammen. Ein Gebet greift auf, was einen anderen bewegt. Eine Predigt antwortet genau auf die Fragen, die jemand gerade umtreiben. Menschen werden aufgerichtet, getröstet und im Glauben gestärkt. Wenn in einer Gemeinde auf diese Art kommuniziert wird, dann stärkt und erbaut das die Gemeinde selbst. Und der Fremde wird vom Wort Gottes angesprochen. Dann wird er nicht das Weite suchen. Das Wort dringt in sein Herz. Er wird sich niederwerfen und Gott anbeten und bekennen:
Gott ist wirklich mitten unter euch.
1. Korinther 14, 25b
so beschreibt es Paulus.
„Gott ist wirklich mitten unter euch.“ – Das wäre doch genial, wenn das die Menschen in unseren Gemeinden spüren und erleben.
Deshalb lassen Sie uns weiter der Liebe nachjagen und uns dafür in allen Bereichen um Verständlichkeit bemühen. Unsere Botschaft ist zu wichtig, um sie unverständlich zu vermitteln. Unsere Kirchen müssen so einladend sein wie Jesus, damit viele die Einladung Jesu hören. Und der steht mit offenen Armen da und sagt: „Kommt her zu mir.“
Wenn Sie sich schon einmal fremd und unwillkommen in einer Kirche, in einem Gottesdienst oder einer Gemeinde gefühlt haben, wenn Sie dachten, Sie passen da nicht rein, jemanden wie Sie will man da nicht haben, dann will ich Ihnen heute sagen, dass da bei der Gemeinde irgendein Rohr verstopft war oder ist. Denn Glaube ist nicht nur etwas für bestimme Menschentypen. Die Einladung Jesu gilt nicht nur für diejenigen, die „frömmisch“ und „kirchisch“ sprechen und verstehen. Nein, sie gilt für alle. Alle soll die Liebesbotschaft Jesu erreichen. Alle lädt Jesus ein. Alle empfängt er mit offenen Armen.
Amen.
Die Predigt wurde am 13. Juni 2021 beim ökumenischen Gottesdienst in Ruit am Waldheim gehalten.
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