Liebe Gemeinde,
wie ging es Ihnen gerade, als Sie den 4. Vers von Luthers Lied gesungen haben. Ich vermute mal, dass das einige von Ihnen befremdlich fanden – vielleicht sogar beängstigend. Ich les ihn nochmal vor: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: lass fahren dahin, sie haben’s kein‘ Gewinn, das Reich muss doch uns bleiben.“ In unserer heutigen Sprache ausgedrückt, steht da in etwa das Folgende: „Auch wenn sie dir deinen Körper, deinen Besitz, deine Ehre und deine Familie wegnehmen, dann lass das geschehen, weil das letztlich nicht das ist, was dir das ewige Leben schenkt. Das kann dir niemand wegnehmen.“ Da muss man doch erstmal schlucken. Aus vollem Herzen mitsingen ist da schwierig, oder? Und gleichzeitig singe ich doch mit. Vermutlich, weil es mich in meiner momentanen Lebenslage nicht existentiell bedroht. Ich muss mich nicht zwischen körperlicher Unversehrtheit und meinem Glauben oder zwischen meiner Familie und meinem Glauben entscheiden.
Für mehr als 200 Millionen Christen auf der ganzen Welt haben diese Worte ein ganz anderes Gewicht. Sie leiden unter einem hohen Maß an Verfolgung, weil sie sich zu Jesus Christus bekennen. Die Weltkarte zeigt den sogenannten „Weltverfolgungsindex“. Markiert sind die 50 Länder, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. Die besonders brisanten Länder sind rot eingefärbt und am Rand aufgelistet.

„Christenverfolgung“ meint in einem umfassenden Verständnis nicht nur die Situationen, wenn der Staat Einzelne oder ganze Gruppen von Christen wegen ihres Glaubens einsperrt, verletzt, foltert oder tötet, wie es in vielen Ländern traurige Realität ist. Von Verfolgung kann auch dann gesprochen werden, wenn Christen aufgrund ihres Glaubens beispielsweise ihre Arbeit oder ihre Lebensgrundlage verlieren, wenn sie aus Glaubensgründen aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben werden, wenn christliche Kinder keine oder nur eine schlechte Schulbildung bekommen oder es Christen nicht erlaubt ist, Kirchen zu bauen oder sich auch nur privat zu versammeln. Auch wenn eine Konversion zum christlichen Glauben gesetzlich oder zumindest gesellschaftlich nicht erlaubt ist
– wenn Gläubige also mit Konsequenzen für Familie, Besitz, Leib und Leben rechnen müssen – kann von Christenverfolgung gesprochen werden.
Was Verfolgung für Christen konkret heißen kann, will ich Ihnen an drei Beispielen kurz zeigen:
Das sind Alvaro, Trinity und Anita aus Indonesien. Die Eltern dieser drei Kinder sind Christen und gehören damit in Indonesien zu einer Minderheit. Nach der indonesischen Landesverfassung hat eigentlich jeder Religionsangehörige das Recht, seinen Glauben frei zu praktizieren. Leider wächst aber in den letzten Jahren die radikale Strömung des Islam in Indonesien und gewinnt auch an Einfluss. Christen und vor allem Christen muslimischer Herkunft geraten immer mehr unter Druck. Im November 2016 haben die drei Kinder das auf traurige Weise erfahren. Während eines Gottesdienstes spielten sie vor der Kirche, als ein islamistischer Attentäter eine Benzinbombe auf das Kirchengelände warf. Ein zweijähriges Mädchen kam dabei ums Leben. Anita, Alvaro und Trinity haben schwerverletzt überlebt. Bis heute leiden sie unter den körperlichen und seelischen Schäden dieses Anschlages.

Auf der anderen Seite der Welt, in dem eigentlichen mehrheitlich christlich geprägten Mexiko geht die Bedrohung für die Christen vor allem von den kriminellen Banden und den Stammesführern aus. Ein Beispiel für Zweiteres ist Alonso. Der Mexikaner lernte in einem Nachbardorf Christen kennen, die ihn ermutigten, die Bibel zu lesen. Was er das las, bewegte ihn und er wurde schließlich Christ. Zurück in seinem Dorf erzählte er anderen von Jesus und es entstand eine Gemeinde. Dass die Christen sich nun nicht mehr an den indigenen Ritualen beteiligten, empfanden die anderen Dorfbewohner als Verrat. Man verkaufte keine Lebensmittel mehr an sie, sie wurden beleidigt, ihre Kinder in der Schule gemobbt. Ein Mob aus über 400 Leuten des Dorfes zerstörte das Gebäude von Alonsos Gemeinde und prügelte so hart auf ihn ein, dass er beinahe gestorben wäre. Alonsos Land, Vieh und sein ganzer Besitz wurden konfisziert.

Doch Diskriminierung und Verfolgung von Christen ist nicht nur ein Phänomen von weit weg. Auch in unserem Land nehmen Übergriffe auf Christen zu. Die FAZ veröffentlichte erst vorige Woche einen Artikel mit dem Titel: „Gewalt gegen Christen. Der Hass ist erschreckend.“
Für ein besonders tragisches Beispiel steht dieses Bild. Zu sehen ist ein Supermarktparkplatz in Bayern, auf dem im Mai vergangenen Jahres eine vierfache Mutter vor den Augen ihrer Kinder niedergestochen wurde. Der aus Afghanistan stammende Täter tötete seine Landsfrau, weil diese zum Christentum konvertiert war.

Leider könnten noch unzählige Beispiele hinzugefügt werden. Christen müssen aufgrund ihres Glaubens leiden, seit es Christen gibt. In der Schriftlesung haben wir vorher von Stephanus gehört, der wegen seines Bekenntnisses zu Jesus Christus schon in der Zeit der ersten Christen gesteinigt wurde. Einer, der dabei war und von dem extra noch gesagt wird, dass er diese Hinrichtung gutgeheißen habe, war Paulus. Vor seiner Bekehrung zu Jesus Christus war Paulus ein sehr erfolgreicher und überzeugter Christenverfolger. Doch durch seine Bekehrung zu Jesus Christus wurde er vom Verfolger zum Verfolgten.
Im zweiten Korintherbrief berichtet er der Gemeinde in Korinth von seinem Dienst und was er für diesen auf sich nimmt. Ich lese aus dem zweiten Korintherbrief im 6.Kapitel.
1 Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.
2. Korinther 6,1-10
2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde;
4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten,
5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten,
6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe,
7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,
8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig;
9 als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet;
10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
Liebe Gemeinde, woran zeigt sich Ihrer Meinung nach, dass jemand ein Diener Gottes, ein Nachfolger Jesu Christi ist? – An einem gesegneten, das heißt dann ruhigen und glücklichen Leben? Oder an einer irgendwie besonders freundlichen und offenen Art? Oder vielleicht daran, dass sich jemand für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt?
Paulus geht es in seiner Auflistung genau um dieses Thema. Er möchte der Gemeinde zeigen, dass er sich in allem als Diener Gottes erweist und damit seine Autorität in der Gemeinde begründen. Es geht ihm dabei jedoch nicht in erster Linie um seine Person, sondern um den Dienst an sich. Er will durch sein Verhalten niemanden ein Hindernis für den Glauben in den Weg legen. In Situationen der Bedrängnis, der Verfolgung und der Not will er genauso ein Botschafter für Christus sein, wie auch in seiner Freundlichkeit und in seinem unermüdlichen Arbeiten. Egal, ob er für sein Reden und Tun geehrt oder verschmäht wird, ob man gut oder schlecht über ihn redet und sogar unter Folter und Todesbedrohung will er durch sein Verhalten ein Zeuge für Jesus Christus sein.
Es wird mehr als deutlich in Paulus Ausführungen, dass er nicht unangefochten war. Er war im Gegenteil in vielerlei Weise versucht. Wie groß muss gerade in Situationen der Verfolgung die Versuchung sein, seinen Peinigern mit Hass statt mit Liebe zu begegnen? Wie groß ist die Versuchung, den Menschen schmeichelnde Worte statt der Wahrheit zu sagen, um gut angesehen zu sein und beehrt zu werden? Würde ich für meinen Glauben Folter und den Tod auf mich nehmen? Für mich und auch für Sie ist zumindest die letzte Frage eine rein hypothetische Überlegung. Für die Menschen, die ich Ihnen vorher vorgestellt habe, nicht. Für unsere verfolgten Glaubensgeschwister haben Versuchung und Anfechtung ein ganz anderes Gewicht. Viele müssen sich täglich bewusst für den Weg der Nachfolge entscheiden. So sind beispielsweise Eltern mit der Frage konfrontiert, ob es für ihre Kinder nicht besser wäre, unauffällig, das hieße in Indonesien zum Beispiel als Muslime „ganz normal“ aufzuwachsen. Können sie ihren Kindern es antun, ständig in Gefahr zu leben? Christen in Mexiko fragen sich, ob sie nicht doch an den traditionellen Ritualen teilnehmen könnten, um keinen Ärger zu provozieren. Und Christen in deutschen Flüchtlingsunterkünften stellen sich die Frage, ob sie ihren Mitbewohnern trauen und ihren Glauben offen bekennen können.
Wenn sie keine Kreuzkette tragen und ihre Bibel verstecken, ersparen sie sich oft viele Schikanen.
Aber sind wirklich nur Menschen in solchen „Extremsituationen“ versucht? Ist Versuchung für uns kein Thema, weil wir scheinbar nichts zu befürchten haben? – Ich glaube, wir sind oft auf eine ganz andere Art versucht, die aber nicht weniger bedrohlich ist. Sie mag weniger bedrohlich für unser physisches und weltliches Leben sein, aber für unseren Glauben ist sie vielleicht sogar gefährlicher. Unsere Versuchung heißt Kuscheldecke. Wir sind versucht, es uns bequem zu machen. Uns einzurichten in unserer kleinen, feinen Welt. Die Korinther waren in ähnlicher Weise versucht. – Aber ist der sichere und unbeschwerliche Weg in der Sonne der Weg der Nachfolge? Gerade jetzt in der Passionszeit denken wir an den Weg, den Jesus gegangen ist. Sein Weg ans Kreuz war ein Leidensweg. Und ich glaube, wenn wir die Nachfolge Jesu ernst nehmen, dann heißt das Kreuz und nicht Kuscheldecke. Wenn wir ihm nachfolgen, kann das für uns auch Leiden heißen. – Ich will damit nicht sagen, dass wir uns das Leben möglichst schwermachen sollen und ständig ein Kreuz suchen müssen. Und auch nicht, dass wir das, was wir haben, nicht auch dankbar genießen dürfen. Aber an Paulus orientiert heißt ein Diener Gottes sein, glaubwürdig zu leben in allen Bereichen.
Es heißt, auch in Situationen der Anfechtung keinen Anstoß für andere zu geben. Und wenn wir das zum Maßstab machen, dann müssen wir die Kuscheldecke wegpacken. Denn wer glaubwürdig lebt, kann als Christ sich nicht zurückziehen und einmummeln. Auch wir sind mit Situationen konfrontiert, in denen es darum geht, Flagge zu zeigen und Christus nachzufolgen, auch wenn es weh tut. Das kann die Ehrlichkeit bei der Klassenarbeit oder der Steuererklärung sein, die Treue zum Partner und zur Familie oder auch der Einsatz für Geflüchtete. Als Nachfolger können wir nicht wegschauen und schweigen, wenn anderen Unrecht getan wird. Wir können auch nicht Liebe predigen und Egoismus leben.
Aber wie können wir das schaffen? Wie kann ich trotz vieler Versuchungen in mir und in der Welt um mich herum, glaubwürdig als Dienerin Gottes leben? Und wie schaffen es nur unsrer Glaubensgeschwister trotz all dem Leid, das sie erfahren, weiter Jesus nachzufolgen? Hier gilt uns allen das, was Paulus auch den Korinthern schreibt:
Wir ermahnen euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
2. Korinther 6, 1+2
Wie passt das zusammen? Nachfolge als Kreuzweg und gleichzeitig die Heilszeit, die Paulus schon als gegenwärtig verkündet. Die Situation des Paulus und die scheinbar erfahrene Hilfe am Tag des Heils?
Siehe JETZT ist der Tag des Heils. – Offensichtlich heißt das nicht, dass es mir nach weltlichen Maßstäben gut geht. Und auch nicht, dass ich unangefochten und sorglos bin.
Wenn jemand die Gnade Gottes, das heißt sein Versöhnungsangebot für sein Leben annimmt, beginnt etwas Neues. Dabei ändern sich jedoch nicht die Umstände. Wie ich vorher berichtet habe, können sich diese im Gegenteil durch das Christsein sogar ins Negative wenden. Was sich aber ändert, ist die Ausrüstung, um die Umstände zu bestehen.
Auch Paulus erlebte jeden Tag die Spannung zwischen dem Heil, in dem er schon lebte und der unheilvollen Welt, die ihn noch umgab. Und trotzdem schreibt er, der Tag des Heils ist jetzt. Paulus lebte in dieser Gewissheit. Für ihn war das Heil keine Vertröstung, sondern Trost im Hier und Jetzt. Nur durch die göttliche Gnade konnte er in allen Anfechtungen und Versuchungen bestehen.
Gnade und Heil heißt also nicht leidensfreie Zone.
Das Heil erweist sich vielmehr darin, dass Jesus gerade in den Tiefen meines Lebens bei mir ist. Er ist den Weg ans Kreuz gegangen und damit in alles Leiden und jede menschliche Tiefe gekommen. Nicht jenseits des Leides, sondern gerade darin – am Kreuz – erweist sich die göttliche Größe und Macht. Nicht weil es Paulus so gut geht, erweist er sich als Diener Christi, sondern weil seine Standhaftigkeit von der Treue Gottes zeugt.
Der mexikanische Pastor Alonso ist überzeugt, dass er in all dem Leid, das er erfahren hat, die Nähe von Jesus erlebt habe. Er schreibt:
„Ich preise den Herrn, denn ich weiß, dass er die ganze Zeit bei mir war. Ich habe die Gebete der Gemeinde gespürt.“
Pastor Alonso
In alldem Unheil hat er das Heil, die Gnade Gottes erfahren.
Auf dem Passionsweg wird die Gnade Jesu erlebbar. Deshalb kann Paulus schreiben, dass er nichts und dabei doch alles hat. Deshalb kann Luther singen, dass ihm alles genommen werden kann, außer das, worauf es wirklich ankommt. Und deshalb brauchen wir keine Angst zu haben, unsere Kuscheldecken wegzulegen und den Weg des Kreuzes zu gehen, weil Jesus Christus diesen Weg uns vorausgegangen ist und uns durch seine Gnade für alle Anfechtung und Versuchung ausstatten wird. Siehe JETZT ist der Tag des Heils.
Amen.
–
Die Predigt wurde am 8. Februar 2018 in der Stadtkirche St. Veit in Waldenbuch gehalten.
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