Liebe Gemeinde,

wir machen den Weg frei“ – Sie kennen diesen Slogan. Mit der richtigen Bank an Ihrer Seite überwinden Sie auch die größten und gefährlichsten Abgründe problemlos.

Mit Jesus an Ihrer Seite überwinden Sie sogar den Abgrund problemlos, der ohne ihn niemand überwinden kann. Darum geht es in unserem heutigen Predigttext. Ich lese aus dem Hebräerbrief in Kapitel 10 die Verse 19-25:

Brüder und Schwestern! Durch das Blut, das Jesus als Opfer dargebracht hat, haben wir freien Zugang zum Heiligtum. Er hat uns einen neuen Weg eröffnet, der zum Leben führt. Dieser Weg führt durch den Vorhang hindurch –und zwar dadurch, dass er Mensch geworden ist. So haben wir einen Hohepriester, der über das Haus Gottes gestellt ist.

Wir wollen also vor Gott treten mit aufrichtigem Herzen und voller Glaubensgewissheit. Denn unsere Herzen sind besprengt worden mit dem Blut von Jesus. So wurde unser Gewissen rein von der Schuld, die es belastet. Und unser Leib wurde in reinem Wasser gebadet. Wir wollen unbeirrt an der Hoffnung festhalten, zu der wir uns bekennen. Denn Gott, auf dessen Versprechen sie beruht, ist treu. Und wir wollen uns umeinander kümmern und uns gegenseitig zur Liebe und zu guten Taten anspornen. Auch sollen wir unsere Gemeindeversammlungen nicht verlassen, wie es manchen zur Gewohnheit geworden ist. Vielmehr sollen wir uns gegenseitig Mut machen. Und das umso mehr, als ihr doch seht, dass der Tag nahe ist.

Hebräer 10, 25

Liebe Gemeinde, unser Motto heißt nicht: „Wir machen den Weg frei.“ – unser Slogan ist: „Er machte den Weg frei.“

Jesus Christus machte für uns den Weg frei. Und zwar den Weg zum Heiligtum. Das klingt für uns vielleicht zunächst irgendwie seltsam oder möglicherweise sogar kryptisch. Wenn wir an die Heiligtümer denken, die wir aus unseren Urlauben in Indien oder Thailand kennen, hört sich das banal an: Freier Zugang zum Heiligtum So what. Aber für die ersten Leser und Hörer des Hebräerbriefs ist das eine Sensation. Freier Zugang zum Heiligtum! Das ist ja unglaublich! In den innersten Bereich des Tempels, das sogenannte Allerheiligste des Tempels durfte zur Zeit des Alten Testamentes nur einmal im Jahr, am Versöhnungstag, der Hohepriester eintreten. Und das auch nicht einfach so – das Ganze war mit einem aufwendigen Opfer- und Reinigungsritus verbunden. Das Allerheiligste galt als Wohnung Gottes und Ort seiner unsichtbaren Gegenwart. Es war durch einen schweren Vorhang vom Rest des Tempels getrennt.

Der Zugang zu diesem heiligen Ort der Präsenz Gottes war also alles andere als frei. Für den normalen Gläubigen völlig undenkbar und unmöglich.

Bis Jesus kam. Er hat mit seinem Tod zugleich die Rolle des Hohepriesters als auch des Opfers eingenommen und damit den Weg für alle frei gemacht. Was früher nur im Ritus vermittelt über den Hohepriester schattenhaft angedeutet worden war, hat Jesus durch seine Hingabe allen ermöglicht. Als Jesus starb, zerriss der schwere Vorhang im Tempel, der das Allerheiligste verschlossen hielt.

Jetzt gilt: Wir haben freien Zugang zum Heiligtum. Übersetzt heißt das: Wir haben einen unmittelbaren Zugang zu Gott. Wir brauchen keinen Ritus und auch keinen Priester, der eine Mittlerrolle für uns einnimmt. Wir brauchen auch keine weiteren Opfer. Jesus hat uns den neuen Weg zu Gott eröffnet. Er hat dafür gesorgt, dass die direkte Verbindung zu Gott wieder möglich ist. Weil er gestorben und auferstanden ist, kann jeder von uns in Beziehung zu Gott leben und den neuen Weg, den Weg des Glaubens gehen. Und dieser Weg führt zum Leben. Die unmittelbare Verbindung zu Gott bedeutet Leben. Leben hier und jetzt, wie es sich Gott vorgestellt und gedacht hatte, als er uns Menschen erschuf. Sinnerfüllt. Geliebt. Entlastet. Angstfrei. Hoffnungsvoll und mit der Perspektive Ewigkeit. Denn der neue Weg führt zu einem Leben, das mit dem Tod nicht zu Ende ist. Jesus machte den Weg dafür frei.

Haben Sie noch den zweiten Slogan der Werbung vor Augen? „Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt.“ Genauso sieht es der Verfasser des Hebräerbriefes auch. Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt. Uns Christen treibt das an, was Jesus Christus für uns getan hat. Jesus hat den Weg für uns freigemacht. Nun liegt es an uns, diesen neuen Weg, den Weg des Glaubens zu gehen.

Der Hebräerbrief ermutigt seine Hörer, die auf dem neuen Weg unterwegs sind, zu drei Dingen, die wir nun nacheinander in den Blick nehmen:

  1. Wir wollen also vor Gott treten mit aufrichtigem Herzen und voller Glaubensgewissheit.

Der Weg zu Gott ist frei. Jetzt können und sollen wir diesen Weg auch gehen und vor Gott treten. Wie geht das?

Ganz einfach, indem wir ins Gespräch mit ihm gehen und ihm mit aufrichtigem Herzen sagen, was uns umtreibt und belastet, was uns freut und wofür wir dankbar sind, wo wir Mist gebaut und versagt haben. Dabei müssen wir uns nicht verstellen. Wir müssen Gott nichts vorspielen und nichts vormachen. Weil wir wissen, dass Jesus durch seinen Tod unsere Schuld getragen hat, muss nichts zwischen uns stehen. Wir sind nicht zu unheilig oder unrein, um zu Gott zu kommen. Kein Fehler und keine Schuld ist zu groß, denn wir haben die Gewissheit: Jesus Christus hat den Weg frei gemacht. Nichts muss zwischen mir und Gott stehen. Ich kann mich ihm komplett und ehrlich anvertrauen. Jeden Tag. Mit allem.

Die zweite Anregung des Hebräerbriefes lautet:

  • Wir wollen unbeirrt an der Hoffnung festhalten, zu der wir uns bekennen.

Vorhin habe ich gesagt, dass Taufe und Glaube immer zusammengehören. Bei der Taufe bekennen wir uns zu Jesus Christus und dem, was er für uns getan hat. Wir bekennen uns damit, unsere Hoffnung auf Jesus zu setzen. Das ist der offizielle erste Schritt auf dem neuen Weg.

Es ist nun aber entscheidend, dass wir hier nicht stehenbleiben, sondern den Weg auch weitergehen. Dass wir an der Hoffnung festhalten und uns immer und immer wieder daran erinnern: Ich bin getauft. Das Sterben und Auferstehen Jesu gilt mir ganz persönlich. Niemand und nichts kann mich mehr trennen von der Liebe Gottes. Jesus ist für mich. Darauf baue ich mein Leben auf. Jeden Tag aufs Neue. Daran halte ich fest. Auch wenn ich zweifle. Auch wenn ich denke, dass ich nicht gut genug bin. Dass ich es nicht verdient habe. Das spielt nicht die entscheidende Rolle. Denn die Begründung, warum wir an der Hoffnung festhalten können, ist das Wesen Gottes. Gott ist treu. Und auf sein Versprechen gründet unsere Hoffnung. Nicht auf uns kommt es an, sondern auf ihn. Und er wird den neuen Weg nicht wieder zumauern. Der Vorhang wird nicht wieder zugenäht. Darauf können wir uns verlassen. Es gilt: Er hat den Weg frei gemacht.

Während die ersten beiden Punkte eher auf das persönliche Leben eines einzelnen Christen abzielen, geht es beim dritten um das Miteinander und die Gemeinschaft derjenigen, die auf dem neuen Weg unterwegs sind:

  • Wir wollen uns umeinander kümmern und uns gegenseitig zur Liebe und zu guten Taten anspornen.

Der neue Weg ist kein Weg für Einzelkämpfer. Kein einsamer Pilgerweg. Es ist ein Weg, auf dem Gemeinschaft gelebt wird. Wer getauft wird, wird automatisch Mitglied einer Kirchengemeinde. Und das ist gut so, denn zum Leben als Christ gehört das Leben in Gemeinschaft mit anderen Christen. Und deshalb gehört zu diesem dritten Punkt auch die anschließende Ermahnung, die Gemeindeversammlungen nicht zu verlassen. Vielmehr sollen wir uns gegenseitig Mut machen. Das brauchen wir. Auch und gerade auf dem neuen Weg brauchen wir das. Es ist ja nicht so, dass das Leben plötzlich total unkompliziert und völlig problemlos verläuft, für diejenigen, die Jesus Christus auf dem neuen Weg nachfolgen. Im Gegenteil – oftmals kann das auch mit größerem Gegenwind verbunden sein. Bei uns können das dumme Sprüche und blöde Kommentare sein, in anderen Regionen der Welt kann der neue Weg auch Benachteiligung, Diskriminierung und Verfolgung bis in den Tod bedeuten.

Wir brauchen einander, um uns gegenseitig zu ermutigen, um uns gegenseitig zu unterstützen, Liebe zu leben. Um Liebe erlebbar zu machen. Der Glaube soll nichts Privates und auch nichts Theoretisches sein. Nein, er soll ganz konkret und praktisch im Alltag sichtbar werden. In unserer Haltung, in unserem Handeln und Reden. Und dafür brauchen wir die Gemeinschaft mit anderen Christen.

Während meines Studiums wohnte ich im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. Das ist ein Studienbegleitungshaus für vor allem Theologiestudierende. Wenn man die Studierenden damals gefragt hat, was das Besondere in diesem Haus ist, sagten 90% die Gemeinschaft. Auch ich empfand das so. Und auch heute sagen das die meisten Bewohner des Albrecht-Bengel-Hauses noch. Es kann also nicht an den konkreten Bewohnern liegen, dass die Gemeinschaft so etwas Besonderes ist. Es muss an etwas anderem liegen. Ich meine, es liegt daran, dass genau das gelebt wird, wozu hier aufgefordert wird. Die Bewohner kümmern sich umeinander. Sie leben nicht nur nebeneinander, sondern interessieren sich füreinander. Wöchentlich treffen sich die WGs zum gemeinsamen Gebet, täglich werden im Haus zusammen Andachten gefeiert. Steht eine Prüfung an, liegen liebe Kärtle mit Schoki auf dem Schreibtisch oder vor der Zimmertür, staubt jemand hinter seinem Schreibtisch ein, wird er mit auf den Stocherkahn genommen und wenn einer im Treppenhaus fragt: „Wie geht es dir?“ kann man davon ausgehen, dass der andere sich wirklich interessiert.

Den neuen Weg, gemeinsam zu gehen, ist keine Last. Das habe ich im Albrecht-Bengel-Haus erlebt und das erleben wir auch in der Gemeinde. Es ist ein Privileg und eine Freude, gemeinsam unterwegs zu sein.

Jetzt gehen wir als Gemeinde gemeinsam auf Weihnachten zu – auf das Kommen unseres Königs Jesus Christus. Dass wir diesen Weg auf Jesus Christus zu gehen können, ist nur möglich, weil er sich auf den Weg zu uns gemacht hat. Bevor Jesus Christus zu uns auf die Welt gekommen ist, war der Zugang versperrt. Der heilige Gott und die unheiligen, unreinen Menschen – das passte nicht zusammen. Doch Jesus hat den Weg frei gemacht und uns damit den unmittelbaren Zugang zu Gott, eine heile Beziehung zu ihm, möglich gemacht. Das treibt uns an, unser Leben neu auszurichten. Mit Blick auf Gott, mit Blick nach vorn und mit Blick auf die, die mit uns unterwegs sind. Amen.

Die Predigt wurde am 1. Advent, dem 27. November 2022 in der Auferstehungskirche in Ruit gehalten.
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