Liebe Gemeinde,

heute darf ich über einen der für mich beeindruckendsten Texte der Bibel predigen. Es ist der letzte Teil des Gebets Jesu, das er vor seiner Gefangennahme betet. Es ist nur im Johannesevangelium überliefert und daher auch nicht sonderlich bekannt. Aber ich denke, es ist einer der intimsten Momente – Jesus betet zu seinem himmlischen Vater. Und gleichzeitig hat man, wenn man das Gebet liest, das Gefühl, dass er will, dass wir es mithören. Er betet zu Gott, aber vor seinen Jüngern. Nur deshalb ist das Gebet uns ja auch überliefert. Seine Jünger damals und wir heute sollen wissen, was ihn im Innersten bewegt. Wir erfahren, wofür sein Herz schlägt.

Im ersten Teil betet Jesus ganz persönlich für sich und seine Verherrlichung, dann bittet er für seine Jünger und im letzten Teil betet er für die, die durch das Wort der Jünger an ihn glauben werden. Das sind wir, liebe Gemeinde. Sie und ich haben schließlich von Jesus Christus erfahren, weil seine Jünger die Gute Nachricht damals weitergetragen haben. Dieser letzte Teil ist heutet unser Predigttext. Ich lese aus Johannes 17:

20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. 22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. 24 Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war. 25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. 26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.

Johannes 17, 20-26

Jesus hat für mich gebetet. Ich bekomme bei diesem Gedanken beinahe Gänsehaut. Er hat sich bei seinem Vater schon für dich und für mich eingesetzt.

Jesus bittet vor allem um zwei Dinge:

  • Er bittet um Einheit.
  • Und er bittet darum, dass wir bei ihm sein können.

Zum ersten. Jesus bittet um Einheit für alle, die durch das Wort der ersten Jünger zum Glauben an Jesus gekommen sind. Das sind letztlich alle Christen auf der ganzen Welt, denn die Wurzeln des Glaubens liegen im Zeugnis und in der Verkündigung der Jünger. „Ich bitte dich, dass sie alle eins seien.“ Das muss ein riesiges Anliegen Jesu sein, sonst würde er das nicht so dringlich in seinem Gebet für die Gemeinde vorbringen. Das heißt aber auch, dass Jesus bereits wusste, dass das ein Problem sein würde. Denn noch waren die Jünger, die erste Gemeinde sozusagen beieinander. Aber schon damals hatte sich angedeutet, was sich bis heute durchzieht: Uneinigkeit. Es gibt so viele Dinge, die die Einheit sprengen können und wollen. Das können theologische Streitigkeiten sein, die vor allem die großen Kirchenspaltungen ausgelöst haben: Wie verstehen wir das Abendmahl? Wie die Taufe?

Das können Stil- und Geschmacksfragen sein: Wie und wann feiern wir Gottesdienst? Orgel oder Band? Paul Gerhardt oder Albert Frey? Und nicht zuletzt sind es auch persönliche Streitereien und Unstimmigkeiten, die Christen voneinander trennen. Jesus war bewusst, dass das ein Problem sein würde und deshalb betete er um Einheit. „Ich bitte dich, dass sie alle eins seien.“

Die Einheit vergleicht er mit der Einheit wie sie zwischen ihm und seinem himmlischen Vater besteht.  Und sie gründet in dieser Gemeinschaft. „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, so sollen auch sie in uns sein.“ Das Verbindende der Christen ist also Christus selbst. Eins Sein im Sinne Jesus bedeutet nicht, dass wir in allem die gleiche Meinung haben und die gleiche Form von Gottesdienst feiern. Es bedeutet vielmehr, dass wir alle Jesus Christus als unseren Herrn und Erlöser anbeten. Dass wir gemeinsam Gottesdienste feiern. Eins-Sein in Jesus bedeutet, dass wir uns erst um unsere eigenen Balken kümmern, bevor wir uns am Splitter im Auge der anderen stören. Dass wir ehrlich und offen zueinander sind.  Dass wir inhaltlich auch mal miteinander streiten, aber nie übereinander schimpfen.

Paulus verwendet später das Bild vom Haupt, das die Glieder, die einzelnen Christen, verbindet. In dieser Verbundenheit ist es uns möglich, über alles Trennende hinweg zu sehen. Es geht nicht um Konkurrenz – es geht um das Reich Gottes. An diesem arbeiten wir alle. Mit unterschiedlichen Stilen, mit teilweise unterschiedlichen Theologien. Aber wenn eine Gemeinde oder eine Kirche in Christus wurzelt, dann sind das unsere Geschwister. Dann sind wir im gleichen Auftrag und mit dem gleichen Ziel unterwegs.

Jesus ist diese Einheit so wichtig, weil er durch sie etwas erreichen möchte: „Auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ Es geht um die Außenwirkung. Es geht darum, dass wir als Christen auf Christus hinweisen. Leider sagen Menschen immer wieder, dass sie sich von der Kirche und vom Glauben abgewandt haben, weil sie dort so viel Streit und Ungutes erlebt haben. Weil die Menschen nicht so miteinander umgegangen sind, wie sie es gepredigt haben. Wir Christen sind nicht glaubwürdig, wenn wir Liebe predigen, aber Zweispalt, Trennung und Konflikt leben.

Um EINS zu sein, brauchen wir Liebe. Und diese Liebe kommt von Jesus. Durch die Predigt. Seine Liebe, ja, Christus selbst in uns, macht es uns möglich. Liebe heißt bei Jesus auch Vergebung und Versöhnung – das gilt es innerhalb unserer Gemeinde, aber auch über alle Kirchen- und Gemeindegrenzen hinweg zu leben.

Eins-Sein heißt also, dass wir in und trotz aller Unterschiedlichkeit in Liebe miteinander umgehen, weil Jesus uns liebt und weil die Welt erkennen soll, dass Jesus sie liebt.

Das Zweite, worum Jesus seinen Vater bittet, ist, dass alle, die zu ihm gehören, bei ihm sein können und seine Herrlichkeit sehen können. Das ist Jesus explizit formulierter Wille: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast …“

Eines Tages werden wir bei Jesus Christus sein. Da werden wir dann definitiv eine Einheit unter uns Christen haben. „In meines Vaters Haus gibt es viele Wohnungen“ und „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.“ Das sagt Jesus ein paar Kapitel zuvor seinen Jüngern.

Ich freu mich auf die himmlische WG, wo Landeskirchler neben Freikirchlern, afrikanische Katholiken neben Griechisch-Orthodoxen und Charismatiker neben Lutheranern wohnen werden. So manch einer wird sicher überrascht sein, wer da plötzlich alles in der Nachbarschaft wohnt. Aber alle gemeinsam leben wir dann in der himmlischen Wohngemeinschaft und ich bin mir sicher, dass es dann weder Stilstreitigkeiten noch theologische Auseinandersetzungen mehr geben wird. Dann sehen wir die Herrlichkeit Jesu von Angesicht zu Angesicht und alles andere ist dann belanglos.

Wenn wir uns das bewusstmachen, dann können wir den ganzen Unterschieden auch heute schon gelassener begegnen. Wir werden aufhören, einander zu belächeln und schlecht zu machen. Wir werden aufhören, uns gegenseitig den Glauben abzusprechen. Wir werden aufhören, einander als Konkurrenz zu betrachten. Ich nenne das gerne, denken in der „Reich-Gottes-Perspektive“. Aus dieser Perspektive sind wir eins. EINS in und durch Jesus Christus.

Das war und ist ein Herzensanliegen von Jesus. Er hat dafür gebetet. Auch wir sollen dafür beten dafür und daran arbeiten. Amen.

Die Predigt wurde an Himmelfahrt 2020 in Waldenbuch gehalten.
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