Liebe Gemeinde,

kennen Sie einen solchen Durst, wie Ernie ihn hatte? Einen solchen furchtbaren, fast unstillbaren Durst? Vielleicht nach einem scharfen indischen Essen oder eine Pizza diabolo? Oder beim Wandern in der Sommerhitze? Oder beim Kicken in der prallen Sonne? Die Zunge klebt am trockenen Gaumen und die Vorstellung ein Gals Sprudel oder gar ein kaltes Apfelschorle oder Radler zu trinken, bestimmt das Denken.

In der Begegnung, um die es heute gehen soll, geht es auch um Durst und um Wasser. Die Szene spielt am Brunnen, weshalb ich sie für heute ausgewählt hatte. Jetzt stellen Sie sich den Eichenbrunnen einfach vor, während ich Ihnen von einer lebensverändernden Begegnung am Brunnen erzähle. Ich lese zunächst Johannes 4,3-9:

Als Jesus das erfuhr, verließ er Judäa und kehrte wieder nach Galiläa zurück. Dabei musste er das Gebiet durchqueren, in dem die Samariter lebten. Unterwegs kam er nach Sychar, einem Ort in Samarien. In seiner Nähe liegt das Grundstück, das Jakob einst seinem Sohn Josef vererbt hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von dem langen Weg und setzte sich an den Brunnen. Es war um die sechste Stunde. Da kam eine Samariterin, um Wasser zu schöpfen. Jesus bat sie: »Gib mir etwas zu trinken.« Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. Da sagte die Samariterin zu ihm: »Du bist ein Jude, und ich bin eine Samariterin. Wie kannst du mich um etwas zu trinken bitten?« Denn die Juden vermeiden jeden Umgang mit Samaritern.

Johannes 4, 3-18

Jesus hat Durst. Er war schon ganz schön lange unterwegs. Erschöpft setzt er sich an einen Brunnen. Es ist 12 Uhr mittags. Die Sonne brennt vom Himmel. Eine Frau kommt. Jesus spricht sie an. Er bittet sie um Wasser. So weit, so gut. Für uns hört sich das völlig unspektakulär an, doch das war es aus zwei Gründen nicht: Zum einen war Jesus ein jüdischer Rabbiner – es war völlig ungewöhnlich, dass ein solcher einfach eine Frau ansprach. Eigentlich sollte er sie nicht einmal ansehen. Zum anderen, das erklärt uns auch der Text, mieden die Juden die Samariter. Sie hielten sie für ungläubig und damit unrein. Manche Juden nahmen auf ihrem Weg nach Jerusalem lieber einen großen Umweg östlich von Samarien in Kauf als durch Samarien zu reisen.

Jesus ist anders. Ihn interessieren die Vorurteile und das, was die Gesellschaft so erwartet, nicht. Er spricht die Frau an. Das irritiert diese sehr. Und sie spricht es offen an. Daraus entsteht ein Gespräch. Ich lese nun die Verse 10-18:

Jesus antwortete: »Wenn du wüsstest, was für ein Geschenk Gott den Menschen macht und wer dich hier bittet: ›Gib mir etwas zu trinken‹! – dann würdest du ihn bitten, und er würde dir lebendiges Wasser geben!« Die Frau erwiderte: »Herr, du hast nichts, um Wasser zu schöpfen, und der Brunnen ist tief. Woher hast du denn dieses lebendige Wasser? Bist du etwa mehr als unser Stammvater Jakob? Er hat uns diesen Brunnen hinterlassen. Er selbst hat daraus getrunken, ebenso seine Söhne und sein Vieh.« Darauf antwortete Jesus: »Wer von diesem Wasser hier trinkt, wird wieder Durst bekommen. Aber wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, wird nie wieder Durst haben. Denn das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle werden: Ihr Wasser fließt und fließt – bis ins ewige Leben.« Da bat ihn die Frau: »Herr, gib mir dieses Wasser! Dann habe ich nie mehr Durst und muss nicht mehr herkommen, um Wasser zu schöpfen.« Jesus sagte zu ihr: »Geh, ruf deinen Mann und bring ihn her!« Da antwortete die Frau: »Ich habe keinen Mann.« Jesus sagte zu ihr: »Es stimmt, wenn du sagst: ›Ich habe keinen Mann.‹ Denn fünfmal warst du verheiratet, und der, mit dem du jetzt zusammen bist, ist nicht dein Mann. Da hast du die Wahrheit gesagt.«

Johannes 4, 10-18

Plötzlich ist nicht mehr Jesus derjenige, der Durst hat, sondern die Frau ist diejenige, die Wasser braucht. Jesus hat das gesehen. Schon als sie zum Brunnen kam, hat er erkannt, dass diese Frau Durst hat und dringend Wasser braucht. Na klar, sie kam ja auch zum Wasserschöpfen. Nein, diesen Durst meine ich nicht. Jesus sah ihr an, dass sie mehr braucht als das Wasser aus dem Brunnen. Dass sie einen anderen Durst hat. Lebensdurst. Deshalb hat er sie angesprochen. Nicht weil er Durst hatte, nein, weil er gesehen hat, dass sie Durst hat.

Alle Menschen haben diesen Durst. Seit sich die ersten Menschen gegen eine Beziehung zu ihrem Schöpfer entschieden haben, sind die Menschen von der Quelle getrennt. Den dadurch entstandenen inneren Mangel versucht der Mensch nun durch alles Mögliche zu kompensieren. Der Mensch sucht verzweifelt nach Erfüllung, nach Sinn und nach Wert. Einige suchen danach in beruflichem oder sportlichem Erfolg, in Macht, Ehre, Reichtum und Anerkennung anderer zum Beispiel durch Klicks und Likes. Andere suchen in Drogen oder im Alkohol. Wieder andere glauben, dass andere Menschen ihre Sehnsucht stillen könnten.

Es gibt viele Dinge, die vermeintlich unseren Durst nach erfülltem Leben stillen, doch das wird uns nie gelingen. Selbst Ernie, der nach dem dritten Glas Wasser endlich keinen akuten Durst mehr hat, wird spätestens am nächsten Morgen wieder Durst haben. Genauso ist es mit allem, womit wir versuchen, unseren Durst zu stillen. Am Ende ist all unser Streben völlig vergeblich, denn wir werden wieder Durst bekommen.

Anders ist das Wasser, dass Jesus anbietet: Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, wird nie wieder Durst haben. Denn das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle werden. Ihr Wasser fließt und fließt – bis ins Ewige Leben.

Die Frau am Brunnen findet das Angebot Jesu verlockend: „Herr, gib mir dieses Wasser!“, sagt sie zu Jesus. Die, die eigentlich um Wasser gebeten worden war, bittet nun selbst um Wasser – nicht um das aus dem Brunnen, sondern um das besondere Wasser von dem Jesus spricht. Dabei weiß sie weiß sicher, dass Jesus auch keinen Zauberkrug mit Wasser hat, der sich immer wieder von alleine auffüllt. Und so sagt sie halb mit Ironie und halb mit echtem Verlangen: „Das wäre herrlich, nicht immer in der Hitze hierherlaufen zu müssen, um Wasser zu holen.“ Und denkt dabei: „Es wäre herrlich, nicht dieses vergebliche und sinnlose Leben zu leben. Wenn du das ändern kannst, wenn du das Wasser hast, das den Durst für immer stillt, dann gib es mir!“

Jesus merkt, dass die Frau anfängt, zu verstehen. Allerdings hat sie noch nicht ganz verstanden, was er meint. Sie hat noch nicht verstanden, warum sie dieses Wasser so dringend braucht, und welchen Durst Jesus stillen möchte. Deshalb gibt Jesus ihr jetzt eine Antwort, die die Frau und auch uns ziemlich überrascht. Jetzt geht es plötzlich nicht mehr um Wasser, sondern um die Ehemänner der Frau. Jetzt wird es ganz persönlich. „Geh, ruf deinen Mann und bring ihn her.“ Mit dieser Aufforderung kommt Jesus zum wunden Punkt der Frau. „Ich habe keinen Mann“, antwortet sie. Jesus weiß das und er weiß noch mehr. Er weiß, dass sie fünfmal verheiratet war und nun mit einem Mann unverheiratet zusammenlebt. Das sagt er ihr auch.  Die Frage ist: Warum tut Jesus das? Warum führt er die Frau so vor? Warum berührt er gerade ihren wunden Punkt? – Weil er genau diesen heilen möchte. Weil er ihr kein Add-On geben möchte, dass ihr Leben nur etwas angenehmer macht, sondern ihren ganz großen Lebensdurst stillen möchte. Warum die Frau fünf Ehen hatte und nun ohne Ehe mit einem Mann zusammenlebt, wissen wir nicht. Aber offensichtlich ist das ihr Lebensthema. Immer hat sie „den einen Mann“ gesucht und in dem Mann Geborgenheit, Liebe und die Sinnerfüllung ihres Lebens. Sie hat das alles aber offensichtlich bis jetzt nicht gefunden. Immer noch hat sie Durst.

Wonach dürstest du? Womit versuchst du deinen Lebensdurst zu stillen und erlebst dabei doch eine Durststrecke nach der anderen? Jesus kennt unsere Wüstenlandschaften, deshalb müssen wir sie vor ihm auch nicht verstecken. Er weiß, wonach wir dürsten und will unseren Durst stillen. Jesus bietet uns wie der Frau am Brunnen lebendiges Wasser an. Er bietet uns eine nie versiegende Quelle an Liebe, Anerkennung, Wertschätzung und Sinn an, die uns nichts und niemand auf dieser Welt bieten kann. Bei ihm finden wir alles, was wir für unser Leben brauchen. Das Wasser, das Jesus uns anbietet, stillt unseren Durst endgültig, weil es nie aufhört zu fließen. Es ist eine Quelle, die nie versiegt. Die endlos, ja ewig fließt. Weil sie von Jesus selbst ausgeht. Er ist der Ursprung des Lebens, das Leben selbst. Weil er uns seine Freundschaft anbietet, weil er uns ein Leben mit ihm anbietet und dabei selbst am Kreuz alles aus dem Weg geräumt hat, was diese Beziehung vorher unmöglich gemacht hat, deshalb haben wir Zugang zur Quelle aus der sinnerfülltes und ewiges Leben sprudelt. Zu dem Wasser, das unseren Lebensdurst stillt.

Dieses Wasser bietet Jesus jedem an. Keiner ist zu schlecht. Keiner hat zu viel Dreck am Stecken. Es gibt keine Vorbedingungen. Denn für Jesus müssen wir nichts leisten. Ihm müssen wir nichts beweisen. Es kommt nicht darauf an, was ich getan habe, sondern was er getan hat. Und es kommt nicht darauf an, wer ich bin, sondern wer er ist. Der Frau am Brunnen gibt sich Jesus im weiteren Gesprächsverlauf als der Messias, der Gesalbte zu erkennen. Er ist der, den Gott beauftragt hat, sein Volk und alle Menschen zurück zur Quelle zu führen. Der, den Gott in diese Welt geschickt hat, um sie zu retten. Und um jeden einzelnen zu retten. Um dich rauszuholen, aus deinem Hamsterrad, indem du dich nur noch durchs Leben kämpfst. Um dir dein Abmühen um Sinn und Anerkennung abzunehmen. Jesus bietet auch dir Wasser an, dass deinen Lebensdurst endgültig stillt. Bei ihm ist die nie versiegende Quelle – die fließt und fließt und fließt. Jeden Tag. Bis ins ewige Leben.

Jesus verspricht: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ – Können wir auf dieses Angebot etwas anderes antworten als die Frau am Brunnen?! – „Herr, gib mir dieses Wasser!“

Amen.

Die Predigt wurde am 26. Mai 2024 in der Auferstehungskirche in Ruit gehalten.
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