Er sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte aber Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?
Lukas 18, 1-8
Liebe Gemeinde,
was für eine Nervensäge!? Ständig steht die Witwe mit ihrem Anliegen bei ihm auf der Matte: „Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher. Tu jetzt endlich was. Das ist dein Job.“ Die hat echt Ausdauer. Die macht überhaupt keinen Anschein müde zu werden oder gar aufzugeben. Im Gegenteil: Sie wird immer vehementer in ihrem Auftreten. So vehement, dass der Richter sogar fürchtet, dass sie ihm dann bald mal eine Ohrfeige verpasst. Schließlich hat sie auch kaum noch etwas zu verlieren, also wer weiß, wozu die Frau noch fähig sein wird. Es gibt nur eine Lösung: Die Frau muss ihr Recht bekommen. Erst dann, das versteht der Richter mittlerweile, erst dann wird er wieder seine Ruhe haben. Zähneknirschend bewegt er sich schließlich und verhilft der Frau zu ihrem Recht.
Schon in der Einleitung des Gleichnisses erklärt uns der Evangelist Lukas, was uns Jesus mit dieser Geschichte sagen will. Es geht darum, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte. So wie die Frau ihr Anliegen immer und immer wieder dem Richter vortrug, so sollen wir immer und immer wieder unsere Anliegen vor Gott bringen.
Die Witwe soll uns zum Vorbild für unser Gebetsleben werden. Das muss ich Schlucken. Ich fühle mich irgendwie ertappt.
Denn wie lange halten wir mit unseren Anliegen wirklich durch? Zwei Wochen, zwei Monate oder vielleicht sogar ein ganzes Jahr? Wann geben wir auf, für Frieden in unserer Familie zu beten? Wann bringen wir unsere nicht gläubigen Freunde und die Bitte um Erweckung nicht mehr vor Gott? Wann haben wir aufgehört für unsere Kirche, unsere Stadt und unser Land zu beten? Und wann ändert sich unser Gebet von „Allmächtiger Gott, greife ein und verändere du die Situation.“ zu: „Gott. Nichts verändert sich. Hilf mir also mit der Situation zu leben und die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind.“?
Ich frage mich: Warum hören wir meist früher oder später auf unsere Bitten vor Gott zu bringen?
Es gibt verschiedene Gründe. Zwei möchte ich hier näher beleuchten:
- Die scheinbar fehlende Dringlichkeit
- Unsere aufgeklärte Theologie
Beginnen wir mit dem ersten: Die scheinbar fehlende Dringlichkeit
Die Beharrlichkeit der Witwe gründete in der Dringlichkeit ihres Anliegens. Sie hat nicht aufgehört, den Richter aufzusuchen. Immer und immer wieder hat sie ihr Anliegen vorgebracht. Sie hat genervt. Aber nicht, weil sie den Richter ärgern wollte, sondern weil es für sie existentiell war, dass der Richter seinen Job richtig macht und ihr zu ihrem Recht verhilft. Sie hatte niemand anderen, der für sie eintreten konnte. Sie war auf den Richter angewiesen. Sie konnte ihn jedoch weder bestechen noch irgendwie anders Druck auf ihn ausüben. Sie konnte ihn nur bitten. Und das tat sie. Inständig und ausdauernd. Die einzige Waffe der Witwe war ihre Beharrlichkeit.
Kann es sein, dass wir manchmal nicht beharrlich im Gebet sind, weil unsere Anliegen nicht existentiell genug ist? Weil wir auch andere Mittel und Wege haben, um die Dinge irgendwie in Ordnung zu kriegen?
Viele Christen im globalen Süden gehen, wenn sie krank sind, nicht zuerst zu einem Arzt, sondern ins Gebet. Oftmals haben sie schlichtweg keine Möglichkeit, einen Arzt aufzusuchen. Und was passiert? Gott hört sie. Viele von ihnen erleben Wunder.
Viele von ihnen erfahren Heilung. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – wir können sehr dankbar sein, dass wir hier eine sehr gute medizinische Versorgung haben. Und natürlich sollen und können wir diese dankbar in Anspruch nehmen. Ich bin auch überzeugt davon, dass Gott in unseren westlichen Kreisen durch die Medizin Heilung schenkt und Wunder wirkt – nur frage ich mich, wo wir im letzten unser Vertrauen festmachen. In Gott, dem Herrn über Leben und Tod – oder im menschlichen und technischen Fortschritt. Dementsprechend werden wir beharrlich um Gottes Eingreifen beten oder eben auch nicht.
Das Gebet um Heilung ist ein Beispiel. Ein anderes ist das um Erweckung – in der Familie, im Freundeskreis, in der Gemeinde, aber auch in unserem Land. Wir wünschen uns, dass Menschen zu Jesus Christus finden. Wir beten auch mehr oder weniger ausdauernd dafür. Aber irgendwann geben wir dann wieder auf, weil sich scheinbar nichts tut. Und weil wir ja mit den Leuten gerade eine gute Zeit haben. Unseren Freunden scheint ohne Jesus nichts zu fehlen. Manchmal scheinen sie sogar besser und leichter durchs Leben zu kommen. Vielleicht reicht es ja auch noch, wenn sie in ein paar Jahren zu Jesus finden.
So richtig dringlich ist uns dieses Anliegen dann vielleicht doch nicht und so vergessen wir zunehmend, im Gebet daran zu denken.
Um beharrlich im Gebet zu sein, braucht unser Anliegen also eine existentielle Dimension. Wenn wir uns der Dringlichkeit nicht bewusst sind oder andere Ideen und Notlösungen nach dem Do-it-yourself-Prinzip einfallen, dann nimmt unsere Beharrlichkeit im Gebet ab. Das ist der erste Grund.
Ein zweiter Grund, warum wir im Gebet nachlassen, ist sicher auch unsere aufgeklärte Theologie. So möchte ich es mal nennen.
Wir wissen alle, dass Gebet kein Automatismus ist und wird nicht über Gott verfügen können. Gott ist kein Kaugummi-Automat – das lernen wir schon in der Jungschar. In der Bibel finden wir ja auch durchaus Beispiele dafür, dass Gott Bitten anders beantwortet, als sich die Betenden das vorstellen. Paulus zum Beispiel bittet dreimal um Heilung und doch ist er seinen Pfahl im Fleisch nicht losgeworden. Stattdessen bekommt der die Antwort, dass Gott gerade in und durch seine Schwachheit seine Kraft erweisen wird. Jesus selbst zeigt uns im Garten Gethsemane, wie er sich in den Willen Gottes im Gebet hineinfindet und unterordnet. Und im Vaterunser lehrt er uns die Bitte „Dein Wille geschehe“. Wir beten die Worte regelmäßig im Vertrauen darauf, dass Gottes Wille gut ist für unser eigenes Leben und auch für diese Welt.
Ich frage mich jedoch, ob wir uns oft auch nicht zu vorschnell mit dieser theologischen Erklärung für das scheinbare Schweigen Gottes zufriedengeben und oft ohne konkrete Antwort vorschnell davon ausgehen, dass das dann wohl Gottes Wille sein wird und wir das zu akzeptieren haben. Und ich frage mich, ob uns die Erklärung, dass es dann halt Gottes Wille sein wird, zwar in der Theorie irgendwie beruhigt, in der Praxis aber dazu führt, dass unser Zutrauen in Gott kleiner und unser Gebetsleben immer dünner wird. Heimlich bohren sich die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Betens immer tiefer in uns hinein und irgendwann hören wir dann ganz auf damit.
Und da kommen wir jetzt zum unglaublich Tröstenden und Mutmachenden in dem Gleichnis Jesu. Denn Jesus spricht in dem Gleichnis nicht nur einen Appell zum anhaltenden Gebet aus, nein, er nimmt unsere Zweifel und unsere Anfechtung ernst. Er stellt uns im Gleichnis einen ungerechten und skrupellosen Richter vor, der seinen Job nicht richtig macht.
Im Alten Orient war es die Hauptaufgabe der Richter, demjenigen Recht zu verschaffen, dem es vorenthalten oder geraubt wurde. Dem Richter im Gleichnis waren alle egal. Und wenn wir ehrlich sind und alle theologische Correctness mal weglassen, dann müssen wir doch zugeben, dass Gott uns doch manchmal genauso vorkommt. Ungerecht. Abwesend. Taub für unsere Bedürfnisse und Anliegen. Auch den Psalmbetern ging das schon so. Immer wieder treffen ihre Formulierungen genau das, was wir beim Beten empfinden: „Herr, wir lange willst du mich noch vergessen?“ „Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.“
Wer betet, der erlebt beides. Der erlebt, dass Gott sein Gebet erhört, dass er eingreift und handelt. Und er erlebt eben auch das Gegenteil: Gott greift nicht ein. Er hilft nicht rechtzeitig oder gar nicht. Beides gehört zu Gebet und keine Seite sollten wir verschweigen. Wenn uns jemand erzählt, dass er enttäuscht ist von Gott, weil der seine Bitten einfach nicht hört, dass er deshalb aufgehört hat zu beten, dann sollten wir ihm oder ihr keine Vorwürfe machen, sondern unsere Glaubensgeschwister ermutigen, genau das vor Gott zu bringen.
Genauso, wie die Psalmbeter ihre Anfragen und Zweifel herausgeschrien haben, können auch wir die Gott an den Kopf werfen. Genauso, wie die Witwe ihre Bitte immer und immer wieder vor Gott gebracht hat, können, ja sollen wir sogar unsere Bitten immer und immer wieder vor Gott bringen. Provokant gesagt: Jesus gibt uns die Aufgabe, Gott zu nerven.
Und er verbindet mit dieser Aufgabe ein Versprechen:
Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Lukas 18, 7
Der ungerechte Richter kümmert sich schließlich um die Witwe, obwohl sie ihm eigentlich völlig egal war. Um wie vielmehr wird Gott, der gerechte Richter um die kümmern, die ihm nicht egal sind. Die er auserwählt hat. Für die er gestorben und auferstanden ist?! Um wie viel mehr wird er sich um uns kümmern und uns Recht schaffen? Das ist das unglaublich Ermutigende, dass in diesem Gleichnis steckt. Wir sind Gott nicht egal. Auch wenn er uns wieder der ungerechte Richter scheint, ist es klar, dass er uns zu unserem Recht verhelfen wird.
Und da müssen wir jetzt genau hinschauen, was damit gemeint ist. Die Witwe fordert vom Richter nicht ein monatliches Einkommen oder soziale Gerechtigkeit im Allgemeinen. Sie fordert nicht einen besseren Lebensstandard oder grundsätzlich ein besseres Leben. Die Witwe klagt IHR Recht ein. Sie fordert das, was ihr rechtmäßig zusteht. Welchen Rechtsanspruch haben wir? Was können wir konkret einfordern?
Wir können Gott auf seine Zusagen festlegen, die er uns in der Bibel, seinem Wort gibt. Er verspricht uns Heilung. Er verspricht uns Rettung. Er verspricht uns Gerechtigkeit. Das ist der Rechtsanspruch, den alle, die an ihn glauben, haben, der aber nicht in uns, sondern in Jesus Christus gründet.
Wenn wir vor dem Richterstuhl Christi stehen werden, dann sind wir so hilflos wie die Witwe. Wir sind darauf angewiesen, dass der Richter uns zu unserem Recht verhilft. Wir können dann versuchen, uns selbst für unser Tun und Lassen zu rechtfertigen, aber wir werden keine Chance haben. Wir müssen dann all unser Hoffnung auf den Richter setzen, der zugleich unser Anwalt und Fürsprecher ist. Und genau der sagt uns hier zu: Dass er uns Recht schaffen wird.
Als seine Auserwählten, als die, die zu ihm gehören, haben wir sogar einen Rechtsanspruch. Der gründet nicht auf unserem Tun und nicht auf der Häufigkeit und Intensität unserer Gebete. Der gründet im Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Wir haben vor Gott einen Rechtsanspruch auf das, was uns von Jesus Christus erworben wurde. Weil er für uns gestorben und auferstanden ist, haben wir in Berufung auf Jesus Christus ein Recht auf Sündervergebung, auf Gerechtigkeit vor Gott und auf das ewige Leben.
Die Zusagen nach Heilung, Rettung und Gerechtigkeit sind mit der Wiederkunft Christi und der Vollendung seines Reiches verbunden sind. Das heißt aber nicht, dass Gott das auch nicht heute schon wirken kann. Auch heute schon greift Gott konkret in diese Welt ein. Sein Reich ist seit dem ersten Kommen Jesu schon angebrochen. Und deshalb können und sollen wir auch heute schon beharrlich im Gebet unsere Anliegen vor Gott bringen. Nicht unter Zwang. Nicht aus Leistungsdruck und mit einer Anspruchshaltung: „Wenn ich viel bete, muss Gott mir viel geben.“ Aber mit dem Vertrauen, dass Gott nicht nur in der Ewigkeit, sondern auch jetzt schon unser Bestes will. Manchmal hat Gott einen anderen Zeitplan als wir.
Manchmal verlieren wir die Geduld. Doch auch das dürfen wir ihm sagen und klagen. Was er möchte ist: Unser Vertrauen und die Verbindung zu uns.
Und darüber kann ich immer wieder nur staunen: Welch riesiges Privileg ist es, mit dem in direkter Verbindung zu stehen, der dieses Universum in seiner Hand hält und ihn als Einzelne sogar mit meinen großen und kleinen Anliegen nerven zu dürfen. Amen.
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Die Predigt wurde am 13. November 2022 in der Auferstehungskirche in Ruit gehalten.

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