Liebe Gemeinde,
der Heilige Geist kam damals ganz schön imposant auf die erste Gemeinde in Jerusalem. Sichtbar, hörbar und spürbar. Ein Rauschen war zu hören und züngelnde Flammen waren zu sehen, als der Geist auf die Urgemeinde kam. Auf unglaubliche und unerklärliche Weise konnten die Jünger plötzlich in ihnen eigentlich unbekannten Sprachen sprechen. Da war was los und am Ende, so berichtet es die Apostelgeschichte, kamen an diesem Tag etwa 3000 Menschen zur Gemeinde dazu. Das wäre doch mal was – so ein Auftritt und so ein Eintritt täte auch unserer Kirche gut.
Warum wirkt der Heilige Geist heute nicht mehr so imposant bei uns? Wirkt er überhaupt noch und wenn ja, wie und was?
Wir Landeskirchler, ich denke, das müssen wir zugeben, tun uns meist etwas schwer mit dem Heiligen Geist. Er gehört zur Dreieinigkeit Gottes dazu, aber bekommt von uns lang nicht die Aufmerksamkeit wie Vater und Sohn. Wenn wir jemand die Grundzüge unseres Glaubens erzählen oder Gottes Rettungsplan für die Menschen in Kürze wiedergeben, dann kommen wir da meist ohne den Heiligen Geist aus.
Dabei spielt er eine entscheidende Rolle – denn Haben oder Nichthaben, entscheidet über unser Sein oder Nichtsein.
Ich lese aus Römer 8 die Verse 1-11. Sie können vorne mitlesen:
Es gibt also keine Verurteilung mehr für die, die zu Christus Jesus gehören. Das bewirkt das Gesetz, das vom Geist Gottes bestimmt ist. Es ist das Gesetz, das Leben schenkt durch die Zugehörigkeit zu Christus Jesus. Es hat dich befreit von dem alten Gesetz, das von der Sünde bestimmt ist und den Tod bringt. Das alte Gesetz war machtlos. Es scheiterte an unserer menschlichen Natur. Deshalb sandte Gott seinen eigenen Sohn in Gestalt eines der Sünde ausgelieferten Menschen. Er sollte sein Leben für unsere Sünden geben. So wurde die Sünde verurteilt, die in der menschlichen Natur angelegt ist. Das tat er, damit die Forderung des Gesetzes durch uns erfüllt wird .Denn jetzt ist unser Leben nicht mehr von der menschlichen Natur bestimmt, sondern vom Geist Gottes. Wer von der menschlichen Natur bestimmt ist, strebt nur nach weltlichen Dingen. Wer aber vom Geist Gottes bestimmt ist, strebt nach dem, was der Geist will. Nach weltlichen Dingen zu streben bringt den Tod. Aber nach dem zu streben, was der Geist will, bringt Leben und Frieden. Darum bedeutet das Streben nach weltlichen Dingen Feindschaft gegen Gott. Es ordnet sich nämlich nicht dem Gesetz Gottes unter –dazu ist es ja gar nicht fähig. Wer also von seiner menschlichen Natur bestimmt ist, kann Gott unmöglich gefallen. Aber ihr seid nicht mehr von der menschlichen Natur bestimmt, sondern vom Geist Gottes. Denn der wohnt in euch. Wer dagegen diesen Geist nicht hat, den Christus gibt, gehört auch nicht zu ihm. Wenn Christus jedoch in euch gegenwärtig ist, dann ist euer Leib zwar tot aufgrund der Sünde. Aber der Geist erfüllt euch mit Leben, weil Gott euch als gerecht angenommen hat. Es ist derselbe Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Wenn dieser Geist nun in euch wohnt, dann gilt: Gott, der Christus von den Toten auferweckt hat, wird auch eurem sterblichen Leib das Leben schenken. Das geschieht durch seinen Geist, der in euch wohnt.
Römer 8, 1-11
Haben oder Nichthaben, Sein oder Nichtsein – Paulus teilt die Menschen in zwei Gruppen auf. Das Unterscheidungsmerkmal ist die Zugehörigkeit zu Jesus Christus. Es gibt die, die zu Jesus Christus gehören und es gibt die, die nicht zu ihm gehören.
Wer auf welche Seite gehört, entscheidet sich am Heiligen Geist. Die, die zu Jesus Christus gehören, die haben den Heiligen Geist. In ihnen wohnt er, wie Paulus es mehrfach formuliert. Die anderen, die nicht zu Jesus Christus gehören, haben den Geist nicht.
Abhängig davon ist nun, wer oder was den jeweiligen Menschen bestimmt und leitet. Die, die den Heiligen Geist haben, sind vom Heiligen Geist bestimmt. Die, die ihn nicht haben, sind von ihrer menschlichen Natur bestimmt. Das ist die konsequente Weiterführung und logische Folgerung.
Wer vom Geist Gottes bestimmt ist, strebt nach dem, was der Geist will. Damit meint Paulus einerseits die konkreten Gaben oder Früchte des Geistes, die er zum Beispiel im Galaterbrief aufführt: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Großzügigkeit und so weiter, aber auch viel grundsätzlicher eine heile Beziehung zu Gott. Wer vom Geist Gottes bestimmt ist, der lebt unter dem Gesetz, das durch die Zugehörigkeit zu Jesus Christus Leben und Frieden mit Gott schenkt.
Wer nicht vom Geist Gottes bestimmt wird, der wird von der menschlichen Natur bestimmt. Das hört sich eigentlich doch erstmal gar nicht so schlimm, ja vielleicht sogar ganz gut an. Für Leute, die diese Worte ganz unvoreingenommen hören, klingt das durchaus positiv. Menschlich und Natur – das ist es doch, was wir wollen, dass es menschlich zugeht und wenn es sogar noch Natur ist, dann ist es doch irgendwie ursprünglich und so, wie es sein soll, oder?
Man könnte sogar fragen, was denn das Problem mit dieser Natur sein soll. Wenn doch Gott den Menschen geschaffen hat, hat er auch seine Natur, seinen Charakter und seinen Willen gemacht.
Warum soll es schlecht sein, sich davon leiten und bestimmen zu lassen? Warum kann jemand, der nach dieser menschlichen Natur lebt, Gott nicht gefallen?
Das Problem ist, dass die menschliche Natur eben nicht mehr so ist, wie Gott sich das anfangs gedacht hatte. Seit Adam und Eva damals beschlossen haben, lieber „frei“ und „selbstbestimmt“ statt in Verbindung mit Gott zu leben, ist die menschliche Natur auf Rebellion gegen Gott, gegen andere und auch gegen sich selbst aus. Die Auswirkungen davon sehen wir jeden Tag im Kleinen und im Großen.
Wer aber nach der menschlichen Natur und ohne Gottes Geist lebt, der lebt unter dem alten von der Sünde bestimmten Gesetz, das letztlich den endgültigen Tod, das heißt die bleibende Gottesferne zur Folge hat. Der strebt nach weltlichen Dingen, wie Paulus das formuliert. Er meint damit die Dinge, die unsere Welt als erstrebenswert gelten: Ansehen, Macht, Reichtum, Erfolg usw. Das ist, so Paulus, Feindschaft gegen Gott. Nicht, weil die Dinge per se schlecht sind, sondern weil sich ein solches Streben nach den Maßstäben unserer Welt nicht dem Gesetz Gottes unterordnet. Das Gesetz lässt sich knapp zusammenfassen: „Ich bin der HERR.“
Die Welt sagt uns aber seit Adam und Eva: Du musst dein eigener Herr, dein eigener Gott sein. Du brauchst niemand, der über dir steht. Du bist gut, unabhängig, frei und selbstbestimmt.
Doch der Mensch ist von sich aus nicht gut – auch wenn das viele denken und gerne so hätten. Und der Mensch ist nicht frei und unabhängig, wenn er ohne Gott lebt. Durch die Abwendung von Gott hat der Mensch sich unter das Wirkprinzip der Sünde und des Todes gestellt. Das ist seit dem sogenannten Sündenfall zunächst der Zustand von allen Menschen. In diesem Zustand kommen wir auf die Welt.
Gott wollte uns aber aus diesem Wirkprinzip rausholen und befreien. „Deshalb“, so schreibt Paulus.
Deshalb sandte Gott seinen eigenen Sohn in Gestalt eines der Sünde ausgelieferten Menschen. Er sollte sein Leben für unsere Sünden geben. So wurde die Sünde verurteilt, die in der menschlichen Natur angelegt ist.- Jetzt ist unser Leben nicht mehr von der menschlichen Natur bestimmt, sondern vom Geist Gottes.
Römer 8, 3b+4
Gott schickt seinen Sohn, der uns durch seine Hingabe aus dem Wirkungsbereich der Sünde und des Todes rausholt und uns unter das Wirkprinzip des Geistes Gottes stellt. Wir sind dem Wirkungsprinzip, dass eine gestörte Gottesbeziehung und damit letztlich den endgültigen Tod zur Folge hat, nicht mehr ausweglos ausgeliefert, nein, Gott selbst holt uns durch seinen Rettungsplan da raus. Wer das annimmt, ist ein neuer, ein anderer Mensch, den in ihm wirkt und regiert nun eine neue Kraft: Der Geist Gottes.
Aber was heißt es konkret, unter dem Wirkprinzip des Geistes Gottes zu stehen? Wie wirkt dieser Geist in uns?
Jesus hatte diesen Geist angekündigt und seinen Jüngern versprochen. Er nennt ihn den Tröster oder auch den Geist der Wahrheit. Er soll uns an Jesu Worte erinnern und uns lehren. Er gibt uns Zeugnis von Jesus und macht es uns möglich an ihn zu glauben und ihn zu bekennen. Das heißt, er ist eine Wirkmacht in uns, die uns antreibt und befähigt, zu glauben, zu lieben, zu hoffen und zu leben, wie es Gott gefällt. Es ist die Gegenwart Jesu Christi – ja, man kann es auch wie Paulus direkt parallel setzen, es ist Jesus Christus in uns.
Der Heilige Geist ist in uns und er bestimmt uns. Wir stehen eigentlich unter seinem Wirkprinzip -und doch merken wir oft nichts davon. Die menschliche Natur dagegen, die spüren wir doch immer wieder ganz schön heftig. Obwohl doch eigentlich klar ist, auf welche Seite wir gehören, zerrt da immer noch und immer wieder das alte Wirkprinzip an uns, weil wir noch in dieser Welt, in den alten Verstrickungen und Verwirrungen leben. Es ist ein ständiges Ringen in uns und doch können wir sicher sein: Der Geist Gottes ist stärker.
Das wissen wir, weil Jesus den Tod und damit alles Widergöttliche überwunden hat. Wir müssen uns klarmachen: In unserem noch sterblichen und damit mit dieser Welt immer verwickelten und verbundenen Leib wirkt derselbe Geist, der Jesus Christus vom Tod auferweckt hat. Der ist stärker als alle anderen Wirkmächte und -kräfte.
Wie die zwei Wirkprinzipien an uns zerren, wird an einem Zeugnis von Martin Luther King deutlich: Im Januar 1955 wurde er zum ersten Mal verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, 30 Meilen pro Stunde in einer 25-er Zone gefahren zu sein.
King wurde zwar in derselben Nacht noch entlassen, doch begann mit dieser kleinlichen Verhaftung eine Phase ununterbrochener Belästigung von Seiten einer rassistischen Polizei. Als er erschöpft nach Hause kam, klingelte sein Telefon: „Hör zu, Nigger, wir haben alles von dir genommen, was wir wollten. Vor nächster Woche wird es dir leidtun, je nach Montgomery gekommen zu sein.“ King konnte nicht schlafen. Er machte sich einen Kaffee und setze sich an seinen Küchentisch. „Ich war drauf und dran aufzugeben.“, sagte er später. „Die Angst wuchs immer mehr in mir.“ Doch während er dasaß, fühlte er sich gedrängt zu beten. „Etwas sagte zu mir: Du musst das anrufen, worüber die dein Papa immer erzählt hat, die Macht, die einen Weg bahnen kann, wo kein Weg ist.“ Und so betete er: „Herr, ich bin unten und versuche, das Richtige zu tun. Aber ich muss zugeben, dass ich momentan wirklich schwach bin. Ich bin am Wanken. Ich verliere den Mut.“ In diesem Augenblick vernahm King Gottes Stimme, die ihn ermutigte weiterzukämpfen. „Er versprach, mich nie zu verlassen.“ All seine Unsicherheit verschwand und er war bereit, sich allem zu stellen.
Das Gesetz der Sünde und des Todes will Martin Luther King dazu bringen, aufzugeben. Doch das Gesetz des Geistes erweist sich als stärker und gibt ihm die Kraft, weiterzumachen.
Das kennen wir auch aus unserem Leben. Das Wirkprinzip der Sünde und des Todes will uns Angst machen, uns einschüchtern und klein machen: „Du kannst nichts. Du bist nichts. Dich braucht und dich will keiner.“– Oder es macht uns stolz, überheblich und auf eine falsche Art und Weise selbstsicher. Das sind die zwei Arten, wie uns die menschliche Natur, der Spirit dieser Welt, Dinge einredet, die nicht stimmen uns unsere Sicht auf unser Wahres Ich behindern.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir auf den Geist Gottes hören, der in uns wohnt und der uns als Geist der Wahrheit auch die Wahrheit über uns sagt und die heißt: „Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Jesus Christus ist für dich gestorben und er hat dich damit von allem befreit, was dich von Gott trennt. Und er ist auferstanden und hat damit die Verhältnisse ein für alle Mal geklärt. Du gehörst zu ihm. Nichts kann dich mehr von ihm trennen.“
Der Geist Gottes sagt uns zu, was Paulus an den Beginn seiner Ausführungen stellt:
Es gibt keine Verurteilung mehr für die, die zu Jesus Christus gehören.
Römer 8, 1
– Das ist es. Niemand kann und darf dich verurteilen. Und Gott der Richter wird es auch nicht mehr tun. Du stehts nicht mehr unter dem Wirkprinzip der Sünde, nein, der Geist Gottes wirkt in dir den rettenden Glauben an Jesus Christus.
Haben oder Nichthaben – Sein oder Nichtsein. Wer denn Geist Gottes hat, der kann an Jesus Christus glauben, ihn bekennen und seine Hingabe für sich persönlich annehmen. Damit gehört der, der den Heiligen Geist hat, zu Jesus Christus.
Gottes Rettungshandeln an uns funktioniert nur über und mit dem Heiligen Geist. Auch wenn dieser heute nicht wie damals in Jerusalem mit Rauschen und mit züngelnden Flammen auf einen Menschen kommt, ist er am Werk. Jeden Tag, in jedem von uns. Er macht es uns möglich zu glauben. Er ist das Wirkprinzip, das uns in unserem Reden, Handeln und Denken bestimmt. Christus in uns.
Lasst uns darauf vertrauen und bauen, dass er mächtig in uns am Werk ist. Lasst uns immer wieder und nicht nur an Pfingsten Gott für seinen Geist in uns danken. Und lasst uns nicht vergessen, für die zu beten, die dieses große Geschenk noch nicht empfangen haben – damit der Geist Gottes auch bei ihnen einzieht und sie auch an Jesus Christus glauben können. Amen.
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Die Predigt wurde am Pfingstsonntag, den 5. Juni 2022, in der Auferstehungskirche in Ruit gehalten.
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