Liebe Gemeinde,
sie hatten sich mittlerweile eigentlich ganz gut eingelebt. Sie hatten geheiratet und sich ihr Heim gemütlich eingerichtet. Für ihre wachsenden Viehherden hatten sie gute Weiden gefunden und mit den neuen Nachbarstämmen kamen sie recht gut zurecht. Sie waren froh, nach dem großen Umzug endlich angekommen zu sein. Mit dem Vater und einem großen Teil der Verwandtschaft waren sie nämlich von Ur in Chaldäa nach Haran umgezogen. Das war eine ziemlich lange und anstrengende Reise gewesen. Immerhin lag die Weltstadt Ur im heutigen südöstlichen Irak und Haran an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Mit dem Auto schafft man die Strecke laut Googlemaps heute in ungefähr 15 Stunden. Zu Fuß hatten sie für die 1200km deutlich länger gebraucht. Aber jetzt waren sie ja schon einige Jahre da und die Strapazen des großen Umzuges waren so gut wie vergessen. Der Vater war inzwischen sogar schon verstorben. Seinem Sohn und seiner Frau hatte er einiges hinterlassen. Sie hatten weit mehr als sie zum Leben brauchten. Nur eines, eines fehlte ihnen.
Sie hatten keine Kinder. Das war für die beiden ein großes Problem. Denn Kinderlosigkeit war in ihrer Gesellschaft nicht nur eine Schande, sondern bedeutete auch eine fehlende Versorgung im Alter. Lange hatten sie gehofft, dass es doch noch irgendwie klappen würde. Aber mittlerweile hatten sie auch aufgrund ihres Alters die Hoffnung aufgegeben. Und dann ereignete sich Folgendes:
Ich lese unseren heutigen Predigttext aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 12:
1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
1. Mose 12, 1-4
2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.
3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.
Unser Predigttext hält sich in seiner Berichterstattung sehr knapp. Als wäre es das Selbstverständlichste überhaupt, wird berichtet, wie ein Mann namens Abram, uns besser bekannt als: Abraham, von Gott angesprochen wird. Und das erste, was Gott zu diesem Abraham sagt ist: „Geh!“ wörtlich steht da sogar eine doppelte Form, also so etwas wie „Geh, geh los! – Verlass deine Heimat und deine Verwandtschaft.“
Ein abenteuerlustiger junger Mensch vom Typ „Verlorener Sohn“ würde sich in seinem eintönigen Alltag über so eine Ansprache vermutlich freuen, aber für Abraham war diese Aufforderung mit einigen ernsten Konsequenzen verbunden. Der Zusammenhalt der Großfamilie war zu seiner Zeit die entscheidende Absicherung. Die Verwandtschaft zu verlassen, hieß letztlich, alle Sicherheiten aufzugeben. Das würde vermutlich auch die Abenteuerlust von so manchem jungen Abenteurer dämpfen. Alle Versicherungen kündigen, das scheint dann doch ganz schön viel, ja vielleicht zu viel Abenteuer zu sein.
Ob Abraham sich solche Gedanken machte, wissen wir nicht. Wir erfahren nicht, was in seinem Inneren vorging. Und auch die Diskussion, die er vermutlich mit seiner Frau noch führen musste, ist uns nicht überliefert.
Der Text beschränkt sich auf das Wesentliche. Gott gibt Abraham einen Auftrag und Abraham tut, „wie der Herr zu ihm gesagt hatte.“ Er fängt nicht an mit Gott rum zu diskutieren wie Mose. Er läuft auch nicht weg wie Jona. Er macht nicht einmal eine kritische Anmerkung wie Petrus in der Schriftlesung. Abraham geht einfach. Das beeindruckt mich.
Dabei bekommt Abraham im Vergleich zu Mose und Jona nicht einmal gesagt, wohin er genau gehen soll. Das Ziel der Reise bleibt erst einmal offen. Er muss sich darauf verlassen, dass Gott ihn an ein gutes Ziel, in ein fruchtbares und sicheres Land führen wird. Gott nennt ihm zwar nicht das Ziel seiner Reise, aber er erklärt Abraham immerhin die großen Eckpunkte seines Planes. Das tut er in Form verschiedener Verheißungen an Abraham. So will ihn Gott zu einem großen Volk werden lassen und segnen. Er will ihm einen großen Namen machen und ihn zum Segen für andere, konkret für alle Geschlechter der Erde machen. Und er gibt Abraham die Schutzzusage, dass er alles Handeln an Abraham auf sich selbst beziehen und für ihn den Menschen ihr Tun vergelten wird. Für eine Reise in ein unbekanntes Gebiet mit unbekannten Völkern und Sippen war diese Zusage wichtig.
Denn damit sagte Gott Abraham eine andere Art von Versicherung für seine Reise zu, nachdem er ja die übliche Form seiner Absicherung, seine Großfamilie, zurücklassen sollte.
Scheinbar haben diese Zusagen Gottes Abraham überzeugt. Dem Gott, der ihm solche Versprechen macht, will Abraham vertrauen. Und so schenkt Abraham ihm sein Vertrauen und legt seine Existenz in Gottes Hände.
Dabei sprach so einiges offensichtlich gegen Gottes Verheißungen. Abraham war 75 Jahre alt, als Gott zu ihm sprach. Seine Frau Sara 65. Diesen beiden kinderlosen alten Leuten versprach Gott eine große Nachkommenschaft. Damit hatte er auf jeden Fall den wunden Punkt getroffen. Abraham fehlte es nicht an Besitz oder Reichtum. Ihm fehlten die Nachkommen. Im Moment war der Stand so, dass sein Neffe Lot nach seinem Tod alles erben würde. Sein Name würde dann schnell in Vergessenheit geraten. Gott versprach ihm dagegen einen großen Namen. Aber wie sollte er denn noch zum großen Volk werden? Petrus hätte an dieser Stelle auf jeden Fall widersprochen. Und auch ich, hätte mich, glaube ich, nur schwer auf diesen Deal einlassen können.
In ein unbekanntes Losziehen mit dem Versprechen gegen alle menschliche Logik von Gott beschenkt zu werden, das wäre mir zu riskant gewesen.
Doch Abraham tat genau das. Allem Anschein zum Trotz ließ er sich auf das Wagnis ein, brach seine Zelte ab und zog los.
Abraham vertraute Gott. Aus diesem Grund wurde er in der biblischen Tradition zum Glaubensvorbild. Dabei wird von unter anderen von Paulus nicht sein Gehorsam gegenüber Gott betont, sondern dass er Gott sein Vertrauen geschenkt hat. Dass er sich auf seine Führung eingelassen hat. Sein Glaube gilt als vorbildhaft. Und wenn man nur diese ersten vier Verse der Abrahamserzählung liest, dann muss man tatsächlich sagen: Ein größeres Vertrauen zu Gott kann man nicht haben. Dieser Mann war ein Glaubensheld. Einer ohne jegliche Zweifel. Ein bewundernswerter Typ. Ja, auch ein Vorbild für meinen Glauben. Ein Vorbild, das mir aber in dieser Geschichte auch unerreichbar weit weg erscheint. Ein so großes Vertrauen in Gottes Wort, fällt mir schwer. Gegen allen Anschein zu glauben und zu vertrauen, das kann ich nicht immer. Oft kommen bei mir auch Zweifel auf.
Da gibt es zum Beispiel das Wort aus dem Römerbrief, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zu besten dienen. Eine schöne Verheißung Gottes, aber ist es denn so?
Selbst wenn es in meinem eigenen Leben gerade gut läuft und ich mich von Gott gesegnet fühle, dann fange ich spätestens an zu zweifeln, wenn ich von Christen höre, die gerade weil sie Gott lieben, viel Leid erfahren. Gilt da Gottes Zusage auch? Und glaube ich nicht genug, wenn da Zweifel in mir laut werden?
Ich bin froh, dass die Geschichte von Abraham noch weitergeht. Denn bis Gott sein Versprechen an Abraham erfüllt hat, ist noch viel passiert. Und wenn wir die ganze Geschichte in den Blick nehmen, stellen wir fest, dass auch Abraham von Zweifel geplagt war. Auch ihm fiel es zwischendurch sehr schwer, der göttlichen Verheißung noch zu vertrauen. Schon als Gott Abraham das erste Mal viele Nachkommen versprach, waren er und seine Frau Sara alt und sie werden immer älter, ohne dass sich der versprochene und ersehnte Nachwuchs ankündigt. Sara wird nicht schwanger. Wo sollen denn die Nachkommen herkommen? Es passiert einfach nichts.
Die Ungewissheit die mit der Aufforderung in ein fremdes Land zu ziehen beginnt, zieht sich durch die ganze Abrahamsgeschichte.– Zwar wiederholt Gott seine Verheißung Abraham gegenüber, aber den Worten folgen scheinbar keine Taten. Einmal, als Gott sein Versprechen an Abraham wiederholt, lacht Abraham Gott sogar aus.
Auch Abraham, der große Glaubensheld, hat Zweifel. Vermutlich hat er sich zwischendurch immer mal wieder gefragt, ob es falsch war, loszuziehen. Ob er sich nicht auf dieses Wagnis hätte einlassen sollen. Ob dieser Gott, dem er sein ganzes Sein anvertraut hat, wirklich hält, was er versprochen hat.
Und das ist die entscheidende Frage auch für mein Leben. Hält dieser Gott, auf den ich mein Leben aufgebaut habe, seine Versprechen? Trägt mich mein Glaube an ihn auch noch, wenn ich seinen Segen scheinbar nicht erfahre? Kann ich mich auf seine Zusage, dass ich durch seine Gnade gerettet bin, wirklich im Leben und im Sterben verlassen? Und was ist, wenn ich zweifle? Gelten mir Gottes Zusagen dann trotzdem noch?
Im Gegensatz zu Abraham haben wir den Vorteil, dass wir das Ende seiner Geschichte bereits kennen. Er musste zwar 25 lange Jahre auf seinen ersten Nachkommen mit seiner Frau Sara warten, aber Gott hat sein Versprechen eingelöst. Gott hat Abraham viele Nachkommen geschenkt und ihm einen großen Namen verliehen. Obwohl Abraham auch an Gott gezweifelt und zwischenzeitlich nicht mehr an Gottes Wirken geglaubt hatte, blieb Gott ihm treu. Gott zieht seine Verheißungen nicht zurück. Nicht einmal, wenn unser Glaube so klein ist, dass wir ihn auslachen.
Mit Abraham beginnt Gott seine große Heilsgeschichte, in die auch wir miteingeschlossen sind. Auch wir können uns deshalb auf die Erfüllung seiner Zusagen verlassen.
Ich möchte mit einer persönlichen Erfahrung schließen, in der ich erlebt habe, wie Gott mich durch seine gute Führung allem Anschein zum Trotz gesegnet und zum Segen für andere werden lassen hat. Nach meinem Abi wollte ich einen Freiwilligendient im Ausland machen. Ich wollte gerne nach Südamerika in ein spanischsprachiges Land gehen und dort dann am liebsten mit Jugendlichen arbeiten.
Spanisch hatte ich in der Schule gelernt und in der Jugendarbeit hatte ich bereits einige Erfahrung. Von der Organisation, bei der ich mich beworben hatte, wurde ich dann aber in ein Vorschulprojekt nach Brasilien geschickt. Portugiesisch statt Spanisch und kleine Kinder statt Teens. Das war nicht mein Plan gewesen, aber ich dachte mir: „Gott wird schon wissen, was er tut.“ Ich vertraute Gott, dass er den richtigen Platz für mich ausgewählt hatte.
Als ich dann aber in Brasilien auf meiner Einsatzstelle war, war ich mir da nicht mehr so sicher. Neben der direkten Arbeit mit den Kindern, hatte ich auch sehr viele künstlerische Aufgaben zu erledigen. Dazu muss man wissen, dass in Brasilien die Deko bei jeglichem Anlass sehr wichtig ist und dass ich als FSJlerin dafür zuständig war. Jetzt ist es aber so, dass jeder, der schon einmal ein Bild von mir gesehen hat, weiß, dass Basteln und Malen nicht zu meinen Stärken gehören. Ich gab mein Bestes, aber fragte mich und Gott oft, warum ich denn gerade auf dieser Stelle gelandet war.
Im Juni, nachdem ich bereits 11 Monate dort war, verstarb ganz plötzlich der Mann meiner Chefin und Nachbarin im Alter von 39 Jahren. Von jetzt auf gleich stand sie mit ihren beiden 4 und 12 Jahre alten Töchter allein da. Das war ein großer Schock für uns alle.
Doch nach und nach konnte ich durch dieses traurige Ereignis, Gottes gute Wegplanung verstehen. Er hatte mich nicht in erster Linie wegen meiner großen künstlerischen Begabung auf diese Stelle geschickt, sondern weil er mich in dieser Situation benutzen wollte, um meine Chefin und ihren Kindern zu ermutigen. – Auch mein Vater verstarb, als ich noch sehr klein war. Das wusste meine Chefin. Zu sehen, dass meine Geschwister und ich auch ohne Vater aufgewachsen waren und auch meine Mutter, die mich kurz darauf besuchen kam, zu erleben, hat meiner Chefin und ihren Kindern in dieser Situation sehr viel Kraft gegeben. Es hat ihnen geholfen, den Blick wieder nach vorne zu richten und trotz des schrecklichen Verlustes weiterzumachen. Gott hatte mich nicht zum Segen gesetzt, weil die Schule jetzt besonders tolle Deko von mir hatte. Er hatte mich in diese Kleinstadt nach Brasilien geschickt, um einer Familie in einer bestimmten Situation Kraft zu geben.
Das Lied, das wir gleich singen werden, formuliert am Ende ein sehr vertrauensvolles Bekenntnis. „Du weißt den Weg für mich, das ist genug.“, heißt es da. In diesem Vertrauen ist Abraham losgezogen und in diesem Vertrauen will auch ich immer wieder aufbrechen und meinen Lebensweg an Gottes Hand gehen.
Amen.
–
Die Predigt wurde am 1. Juli 2018 in der Stadtkirche St. Veit in Waldenbuch gehalten.
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