Liebe Mitchristen,
achtet den anderen höher als euch selbst. Seid euch einig und strebt einmütig dasselbe Ziel an. Sucht nicht euren eigenen Vorteil, sondern schaut danach, was für den anderen oder die andere gut ist.
Wie geht es Ihnen, wie geht es euch mit diesen Aufforderungen? Welche Reaktion lösen diese Mahnungen in dir aus? Vielleicht ein Aha-Moment? Stimmt. Eine wichtige Erinnerung. So sollte es sein. Das will ich gleich nachher umsetzen. Oder ist ein genervtes Augenrollen?: Jetzt kommt die hier nach einem Jahr wieder an und hebt zu Beginn gleich mal den Zeigefinger! Oder eher ein schlechtes Gewissen verbunden mit einer Art Resignation?: Das schaffe ich, das schaffen wir doch eh nicht.
Die Mahnungen kommen nicht von mir. Paulus schreibt genau diese Aufforderungen an die Gemeinde in Philippi. Und auch er weiß, dass so ein Umgang miteinander und untereinander nicht automatisch passiert. Und auch, dass viel Anstrengung und viel guter Wille dafür nicht reichen. Deshalb schiebt er seinen Anweisungen direkt den einzigen Antrieb hinterher, der wirklich Veränderung im Umgang unter uns bringt. Er zeigt mit dem Finger auf das Kreuz und so schreibt er in Philipper 2 Vers 5:
5Denkt im Umgang miteinander immer daran, was in der Gemeinschaft mit Christus Jesus gilt: Und nach dieser Einleitung hängt er den sogenannten Philipperhymnus an und beschreibt in diesem uralten Lied den Weg, den Jesus gegangen ist. Ich lese uns zunächst den ersten Teil, man könnte sagen, die erste Strophe vor: 6Er war von göttlicher Gestalt. Aber er hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein – so wie ein Dieb an seiner Beute. 7Er legte die göttliche Gestalt ab und nahm die eines Knechtes an. Er wurde in allem den Menschen gleich. In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch. 8Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis in den Tod – ja, bis in den Tod am Kreuz.
Philipper 2, 5
Warum knirscht es zwischen uns Menschen immer wieder? Warum ist auch der Umgang in der Gemeinde nicht immer easy? Und was ist der Grund nicht weniger Konflikte und sogar Kriege auf unserer Welt? – Ich meine, es ist der menschliche Drang nach Geltung und Macht. Wer sich hinten anstellt verliert doch, oder? Das lernt man früh.
Wenn wir früher mit dem Bus nach der Schule nach Hause gefahren sind, gab es manchmal die Situation, dass zu wenig Busse da waren. Wer nicht gedruckt und gedrängelt hat, blieb nachher stehen und musste eine Stunde oder noch länger auf den nächsten Bus warten.
Über Wolfgang Schäuble las ich in einem Bericht, dass er nicht gut darin war, seine Ellbogen auszufahren und es deshalb wohl nie zum Kanzler gebracht hat.
Um in unserer Welt Erfolg zu haben – oder auch nur um nicht stehen gelassen zu werden, muss man mit harten Bandagen kämpfen. Man muss an sich selbst denken und sich durchsetzen. Wenn wir aber mit ausgefahrenen Ellbogen unterwegs sind, vergiftet das unser Miteinander. Das ist bei Nichtchristen und bei Christen so, im Sportverein genauso wie in der Kirche. Doch gerade bei uns Christen kann es anders sein – denn wir sind in Christus. So heißt es in Vers 5 wörtlich. Wir sind mit Jesus hineingenommen, in das, was er für uns getan hat. Deshalb steht bei uns immer zuerst der Indikativ vor der Imperativ – erst geht es darum, was Christus für uns getan hat – dann geht es darum, was wir tun und wie wir leben. Im Gegensatz zu allen anderen Religionen steht bei uns nicht das „Du musst“ und „Du sollst“ an erster Stelle, es geht nicht in erster Linie um Regeln und Gebote – bei uns Christen geht es zuerst darum, was Christus getan hat. Das beschreibt Paulus und das schauen wir uns jetzt genauer an.
1. Strophe: Der Weg nach unten
Die Schlange versprach Eva und Adam im Paradies: Ihr werdet sein wie Gott, wenn ihr euch über Gottes Verbot hinwegsetzt und von dem Baum esst, vom dem ihr nicht essen sollt. Dieser Versuchung, die bis heute in uns steckt, steht Christus entgegen. Während viele Menschen immer wieder wie Götter sein wollen, hat der, der Gott war und ist, den umgekehrten Weg gewählt und sich auf das Menschsein eingelassen. Jesus hat sich zum Opfer gemacht. Er ist den Weg von ganz oben nach ganz unten gegangen. Vom himmlischen Thronsaal hat er sich auf den Weg in unsere Welt gemacht. Seinen Thronsessel tauschte er gegen eine mit Stroh ausgekleidete pieksige Futterkrippe. Statt mit himmlischen Heerscharen umgab er sich mit Menschen ohne Ansehen. Er ließ sich auf Freunde ein, die ihn am Ende verrieten und verleugneten. Paulus schreibt wörtlich: Er machte sich leer. Zu einem Nobody. Zu einem Sklaven, der nicht einmal über sich selbst verfügen kann. Jesu Weg führte in die äußerste Tiefe. In die Gottverlassenheit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, schreit er am Kreuz. Er gibt die Gotteswürde auf und am Ende nimmt man ihm auch noch die Menschenwürde.
Meine Kinder fragen mich manchmal, ob Jesus stärker war als Pippi Langstrumpf. Und die Frage ist einfach und hochkomplex zu gleich: Denn natürlich war und ist Jesus Gott und damit stärker als Pippi Langstrumpf und als alle Römer und Mächte dieser Welt. Aber er hat sich eben auch ganz auf das Menschsein eingelassen. „Er wurde in allem den Menschen gleich. In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.“, schreibt Paulus. Das heißt, dass er auch die Hilflosigkeit und Machtlosigkeit von uns Menschen über sich ergehen lassen hat. Klar hätte Jesus die Macht gehabt, mit dem Streitross in Jerusalem einzureiten, eine Armee um sich zu sammeln. Problemlos hätte er die Römer vertreiben können. Ehre, Ruhm, Reichtum, Ansehen – all das wäre ihm sicher gewesen. Stattdessen erträgt er Mobbing, Folter, Spott und Hohn und lässt sich am Ende ans Kreuz schlagen.
Jesus hat den Weg nach unten freiwillig gewählt. Niemand hat ihn gezwungen auch nur einen Schritt aus dem himmlischen Thronsaal herauszumachen, seinen Fuß in diese Welt zu setzen und den Kreuzweg zu gehen.
Er hatte das absolut nicht nötig – aber wir. Jesus geht diesen Weg für uns. Aus Liebe. Weil er dem Gift der Sünde ein Gegengift entgegensetzen möchte. Weil er uns retten möchte. Weil er uns liebt. Im Philipperhymnus steht das nirgend explizit, aber an anderen Stellen wie in Epheser 5 schreibt Paulus das ganz explizit. Christus hat uns geliebt und sein Leben für uns gegeben.
Deshalb können wir an jeden Absatz ein „für uns“ anhängen. „Er legte die göttliche Gestalt ab und nahm die eine Knechts an – für uns.“ Er wurde ganz Mensch – für uns. Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz – für uns. Für dich. Für mich.
Mit diesem Jesus, mit so einem Gott, dürfen wir in Gemeinschaft leben. In ihm sind wir. Von ihm und dem, was er für uns getan hat, leben wir. Deshalb ist das auch der Maßstab für unser Leben. Wenn ich mir klarmache, was Jesus für mich getan hat – wenn ich versuche, seinen Weg nachzuvollziehen, dann kann es mir nicht mehr um meine Stellung und mein Ansehen gehen. Dann muss ich nicht großrauskommen, immer Recht haben und vor allem meinen eigenen Vorteil suchen. Dann gehe ich anders mit anderen um – nicht weil das moralisch von mir erwartet wird oder weil ein erhobener Zeigefinger mir das einschärft, sondern weil ich auf Christus und seinen Weg für mich blicke und das meine Prioritäten verschiebt und mich verändert.
2. Strophe: Der Weg nach ganz oben
Christus hatte all das, was Menschen erstreben. Doch er lässt es bewusst und freiwillig los. Er geht den untersten Weg. Doch er bleibt nicht ganz unten. Er geht gehorsam den Kreuzweg und wird dann von Gott über alle anderen erhöht und damit kommen wir zum zweiten Teil des Philipperhymnus. Ich lese jetzt ab Vers 9:
9Deshalb hat Gott ihn hoch erhöht: Er hat ihm den Namen verliehen, der hoch über allen Namen steht. 10Denn vor dem Namen von Jesus soll sich jedes Knie beugen – im Himmel, auf der Erde und unter der Erde. 11Und jede Zunge soll bekennen: »Jesus Christus ist der Herr!« Das geschieht zur Ehre Gottes, des Vaters.
Philipper 2, 9-11
Christus war ganz unten und wurde dann von Gott in die höchste Höhe erhöht. Wörtlich steht hier sogar: überhöht. Weiter oben gibt es nicht. Höher hinauf geht es nicht. Jesus ist nun der Name über jedem Namen. Der, der angebetet wird. In dessen Namen sich jedes Knie beugen soll.
„Hosianna, gelobt sei der da kommt, im Namen des Herrn.“ – So haben die Menschen an Palmsonntag Jesus bei seinem Einzug nach Jerusalem zugerufen. Das war nur das Vorspiel für die große Anbetung und Huldigung am Ende der Zeit, wenn sich alle vor ihm beugen werden. Auch die, die heute achtlos an ihm vorbeigehen. Und auch die, die heute über Jesus lästern, werden ihn einst als Herr bekennen müssen. Das steht fest. Das ist das Ziel Gottes.
Für uns, die wir mit Jesus unterwegs sind, hat die Erhöhung Jesu zwei Auswirkungen:
- Jesus unser Herr ist nicht Verlierer, sondern Sieger. Schaut man nur auf Jesus am Kreuz dann könnte man meinen, Jesus hat alles falsch gemacht. Wie dumm, seine Stellung und Würde aufzugeben und sich zum Opfer machen zu lassen. Und noch dümmer, so einem hinterherzulaufen. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. Jesus ist auferstanden und hat den Tod besiegt. Er sitzt an der Rechten Seite Gottes. Er herrscht. Er hat alle Macht. Diesem Herrn vertrauen wir. Mit ihm leben wir. Er steht an unserer Seite. Und daraus folgt dann das Zweite:
- Wir sind keine Verlierer, sondern Sieger. Die Welt lehrt uns von klein auf: Du musst jemand sein. Du musst was aus dir machen. Du musst die Ellbogen ausfahren und kämpfen. Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Nur Opfer stellen sich hinten an und machen sich selbst zu einem Nobody. Nein, wir fahren einen anderen Kurs, weil wir wissen: Was Christus für uns getan hat, das zählt. Er macht uns durch seinen Tod zu Töchtern und Söhnen des allmächtigen Gottes. Zu Königskindern des obersten Königs. Das ist unsere Stellung. Deshalb sind wir frei, jemand „sein“ zu müssen und auf unseren Rang oder unsere Stellung pochen zu müssen.
Liebe Mitchristen,
achtet den anderen höher als euch selbst. Seid euch einig und strebt einmütig dasselbe Ziel an. Sucht nicht euren eigenen Vorteil, sondern schaut danach, was für den anderen oder die andere gut ist.
Ich wünsche mir, dass wir hier in unserer Gemeinde und darüber hinaus in unseren Familien, an unseren Arbeitsplätzen, in der Schule, in unseren Gruppen und Vereinen so miteinander umgehen können, wie es zu uns als Jesus-Nachfolger passt: Ohne Angst zu kurz zu kommen. Nicht auf den eigenen Vorteil bedacht. Auf Einheit und nicht auf Rechthaberei bedacht. Das ist nicht einfach und das passiert nicht automatisch. Aber in Christus und mit Blick auf das Kreuz ist es möglich. Deshalb müssen wir uns gegenseitig immer und immer wieder auf Christus hinweisen. Und heute bitte ich Sie und euch auch explizit, das bei mir zu tun und auch mich immer wieder auf den hinzuweisen, der nicht die Ellbogen ausgefahren hat, sondern sich aus Liebe für uns hingegeben hat. Diese Liebe werden wir nie ganz begreifen. Aber sie kann uns verändern. Amen.
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Die Predigt wurde an Palmsonntag 2024, dem 24. März, in der Auferstehungskirche in Ruit gehalten zur Investitur von Pfarrerin Stefanie Stooß gehalten.
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