Liebe Gemeinde,
Wo sind Sie zu Hause? Wo ist bei Ihnen Daheim? Wo ist Ihre Heimat? – Für Viele von uns wird das ganz klar sein. Die Heimat ist Ruit und Daheim ist das Häusle oder die Wohnung, in der man schon viele Jahre lebt. – Für Menschen, die schon öfter umgezogen sind und die nicht mehr an dem Ort ihrer Kindheit leben, sind diese Fragen meist nicht so ganz einfach zu beantworten. Ich zum Beispiel fahre immer noch heim, wenn ich meine Familie auf der Alb besuche. Aber wenn ich dann abends wieder Richtung Ruit aufbreche, fahre ich auch wieder heim. Sie sehen, das mit der Heimat kann kompliziert sein…
In unserem Predigttext geht es auch um das Daheimsein. Paulus weiß allerdings genau, wo er daheim ist. Er schreibt den Korinthern von dieser Heimat. In seinen Worten wird deutlich, wie sehr er sich nach diesem Ort sehnt. Ich lese aus dem 2.Korinthterbrief im 5.Kapitel die Verse 1-10.
1 So gleicht zum Beispiel der Körper, in dem wir hier auf der Erde leben, einem Zelt, das eines Tages abgebrochen wird. Doch wir wissen: Wenn das geschieht, wartet auf uns ein Bauwerk, das nicht von Menschenhand errichtet ist, sondern von Gott, ein ewiges Haus im Himmel. 2 In unserem irdischen Zelt seufzen wir, weil wir uns nach der Wohnung sehnen, die aus dem Himmel stammt, und am liebsten würden wir den neuen Körper wie ein Gewand direkt über den alten anziehen. 3 Denn nur dann, wenn wir ´den neuen Körper` angezogen haben, werden wir nicht unbekleidet dastehen. 4 Ja, solange wir noch in unserem irdischen Zelt wohnen, wo so vieles uns bedrückt, seufzen wir ´voll Sehnsucht`, denn wir möchten ´den jetzigen Körper am liebsten` gar nicht erst ablegen müssen, sondern ´den künftigen` unmittelbar darüber anziehen. Auf diese Weise würde das, was sterblich ist, sozusagen vom Leben verschlungen. 5 Gott selbst hat uns auf dieses ´neue Leben` vorbereitet, indem er uns seinen Geist als Unterpfand und Anzahlung gegeben hat. 6 Deshalb kann nichts und niemand uns unsere Zuversicht nehmen. Wir wissen zwar: Solange dieser Körper noch unser Zuhause ist, sind wir fern vom Herrn, 7 denn unser Leben ´hier auf der Erde` ist ein Leben des Glaubens, noch nicht ein Leben des Schauens. 8 Und doch sind wir voll Zuversicht, und unser größter Wunsch ist, das Zuhause unseres ´irdischen` Körpers verlassen zu dürfen und ´für immer` daheim beim Herrn zu sein. 9 Daher haben wir auch nur ein Ziel: so zu leben, dass er Freude an uns hat – ganz gleich, ob wir ´schon bei ihm` zu Hause oder ´noch hier` in der Fremde sind. 10 Denn wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen, wo alles offengelegt wird, und dann wird jeder den Lohn für das erhalten, was er während seines Lebens in diesem Körper getan hat, ob es nun gut war oder böse.
2. Korinther 5, 1-10
Haben Sie die Sehnsucht des Paulus in seinen Worten gespürt? Im Portugiesischen gibt es das Wort SAUDADE, das umfassender ist als unser deutsches Wort „Sehnsucht“. Es bedeutet neben Sehnsucht auch Heimweh, Herzschmerz und Trennungsschmerz. Es beinhaltet das seelische und körperliche Leiden, das mit der Sehnsucht oft einhergeht. Vor allem Brasilianer können dieses SAUDADE so aussprechen, dass allein der Wortklang einem schon klar macht, wie groß und tief diese Sehnsucht, dieses Verlangen nach einer Person oder nach einem Ort ist. Paulus hat SAUDADE.
Sein größter Wunsch ist es, das Zuhause seines irdischen Körpers verlassen zu dürfen und daheim bei seinem Herrn zu sein. Paulus hat schlicht keinen Bock mehr auf Fernbeziehung und alles, was damit verbunden ist. Er will nicht mehr in einem provisorischen Heim leben, er will nicht mehr die falschen Kleider tragen, er will sich nicht mehr nackt fühlen müssen. Und er will vor allem nicht mehr im Glauben leben – er will seinen Herrn sehen. Endlich bei ihm sein und ihm von Angesicht zu Angesicht begegnen.
Gut, wenn ich mir das Leben des Paulus so anschaue, dann kann ich mir relativ gut vorstellen, dass ihn irgendwann einfach mal der Frust gepackt hat. Ständig muss er sich rechtfertigen, er wird angefeindet, er muss einen Streit nach dem anderen schlichten und der Lohn für seinen Einsatz ist der ein oder andere Gefängnisaufenthalt. Dass Paulus Grund zu seufzen hat, kann ich nachvollziehen.
Doch Paulus redet nicht nur von sich. Die ganze Zeit redet er im Plural. „WIR wissen, dass unser Zelt hier abgebrochen werden wird.“ „WIR seufzen in diesem irdischen Zelt, weil WIR uns nach der himmlischen Wohnung sehnen.“ Und es ist „UNSER größter Wunsch das Zuhause unseres irdischen Köpers verlassen zu dürfen, und für immer daheim beim Herrn zu sein.“
In dieses „WIR“ schließt er uns und alle Nachfolger Jesu Christi mit ein. Doch kann Paulus denn das so einfach tun? Woher will er wissen, ob WIR seine Sehnsucht teilen, ob wir auch SAUDADE haben? Meistens finden wir unser irdisches Zelt doch ganz nett. Sind jung, flexibel und ungebunden, haben wir scheinbar unendlich viele Möglichkeiten und das Leben noch vor uns. Wir haben Träume, Pläne und Ziele. Sind wir schon etwas älter und gesetzter, haben wir es uns irgendwie gemütlich eingerichtet und fühlen uns auch ganz gut damit. Sicher wissen wir, dass unser Zelt eines Tages abgebrochen wird. Ja, wir wissen, dass am Ende der Tod kommt, aber daran wollen wir jetzt nicht denken. Das hat Zeit. Jetzt wollen wir leben.
Und nackt fühlen wir uns auch nicht wirklich. Es gibt so viele Dinge, mit denen wir uns ankleiden, die uns passen und gefallen. Das Studium, das super läuft, mein Partner, den ich von Herzen liebe und mit dem ich meine Zukunft plane, mein Job, in dem ich mich voll verwirklichen kann, meine Freunde, mit denen ich total viel Spaß habe, die große Familie, die so viel Freude bringt… und sicher noch einiges anderes mehr.
So richtig SAUDADE wie Paulus haben wir nicht. So richtig mit ihm zu seufzen, scheint uns schwer zu fallen. Vielleicht glauben wir, dass Jesus eines Tages wiederkommt und wir bitten Gott jedes Mal, wenn wir das Vater Unser beten, dass sein Reich kommen soll, aber wenn das noch 80 Jahre dauert, wenn es noch so lange dauert, bis wir unser Leben nach unseren Vorstellungen gelebt haben, wäre es uns doch auch ganz recht, oder?
Doch so sehr wir unser irdisches Zelt hier mögen, müssen wir wohl auch zugeben, dass es bei so manchem Sturm ganz schön zu wackeln beginnt. Da verliert man den Menschen, mit dem man sein Leben zusammen verbringen wollte. Plötzlich kommt eine Krankheit, die die Studien- und Karrierepläne völlig durcheinanderwirft. Enttäuschungen und Verletzungen ziehen uns zurück auf den Boden.
Und wie mag es erst unseren bedrohten und verfolgten Glaubensgeschwistern gehen? Was Paulus erlebt hat, kennen sie aus eigener Erfahrung. Anfeindungen, Bedrohungen, Gefängnis – aufgrund ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus. SAUDADE – viele von ihnen haben diese starke Sehnsucht nach der himmlischen Heimat von der Paulus spricht. Wenn wir über unseren eigenen Tellerrand hinausblicken, wenn wir die Berichte von unseren Glaubensgeschwistern hören, wenn wir die Zeitung aufschlagen oder die Schlagzeilen im Internet durchscrollen, dann fällt es uns schon gar nicht mehr so schwer mit Paulus zu seufzen. Dann sehnen wir uns auch mit ihm nach dem Haus daheim bei unserem Herrn, das nicht mehr wackelt, sondern ewig fest steht. Dann fällt es auch uns schwer eine Fernbeziehung im Glauben zu haben, weil wir so vieles nicht verstehen. Weil wir ins Zweifeln kommen und weil wir im Schauen gerne Gewissheit hätten.
Doch welche Konsequenzen ziehen wir nun daraus, wenn wir erkannt haben, dass es auf dieser Welt genug Grund zum Seufzen gibt und wir die Sehnsucht mit Paulus teilen? Weltflucht? Versetzt der Blick in die Welt uns in eine Schockstarre, so dass wir unser Zelt an einem möglichst geschützten Ort aufbauen, wo uns keine großen Stürme treffen können und an dem wir das Wüten in der Welt nahezu ausblenden können? Ist die Folge ein passives Abwarten mit einem sehnsüchtigen Blick auf das Jenseits und der Hoffnung bald aus dieser furchtbaren Welt gehen zu dürfen?
Schauen wir nochmal auf Paulus. Der nimmt uns nicht nur mit hinein in das Seufzen, sondern auch in die Hoffnung. Sein Vorschlag ist der Wechsel der Blickrichtung. Wir wissen, dass hier alles vergänglich und vorläufig ist. Wir wissen, dass dieses Leben nicht alles ist. Wir leben in der Hoffnung, dass wir eines Tages beim Herrn sein werden. Wir werden in seine ewige Wohnung einziehen. Die Fernbeziehung läuft auf ein ewiges Beisammensein mit unseren Herrn hinaus. Deshalb, so Paulus, können wir unser Zelten anders gestalten. Wir müssen uns nicht mehr um uns selbst drehen und uns hauptsächlich darum kümmern, dass unser Zelt gut steht und unsere Kleider gut sitzen, vielmehr können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren.
Das Wesentliche? Paulus erklärt es in Vers 9: „Daher haben wir auch nur ein Ziel: so zu leben, dass er Freude an und hat – ganz gleich, ob wir schon bei ihm zu Hause oder noch hier in der Fremde sind.“
Es geht darum die Fernbeziehung zu unserem Herrn in Liebe zu ihm und mit Blick auf ihn zu leben. Also doch Weltflucht? Nein, in Liebe zu ihm und mit Blick auf ihn, heißt nicht mit einem Blick aus der Welt, sondern es heißt mit einem Blick für die Welt. Wenn wir auf Gott blicken, dann haben wir auch einen Blick für unsere Nächsten. Gott lieben heißt immer auch meinen Bruder und meine Schwester zu lieben. Unsere Sehnsucht und unser Seufzen führen uns also nicht aus der Welt, sondern mitten in diese Welt.
Wir dürfen uns mit Paulus auf das ewige Haus freuen, aber wir werden damit rechnen müssen, dass uns bei unserem Einzug ein paar Fragen zu unserem Leben im Zelt gestellt werden. „10 Denn wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen, wo alles offengelegt wird, und dann wird jeder den Lohn für das erhalten, was er während seines Lebens in diesem Körper getan hat, ob es nun gut war oder böse.“
Gott sei Dank hat Jesus am Kreuz schon dafür gesorgt, dass wir auf jeden Fall einziehen dürfen. Aber vielleicht entscheidet sich mit unserem irdischen Leben noch, welches Zimmer wir einmal bekommen werden. Weil wir uns im Glauben sicher sein können, dass wir ewig daheim beim Herrn sein werden, müssen wir nicht krampfhaft unser irdisches Zelt festhalten. So haben wir unsere Hände und unsere Kräfte frei, um unseren künftigen Hausherrn zu erfreuen. Wie genial wird es einmal sein, sich mit ihm über die Dinge zu unterhalten, über die er sich tatsächlich gefreut hat und wie gut ist es zu wissen, dass er auch da, wo wir zu sehr an unserem eigenen Zelt gearbeitet haben, gnädig sein wird.
Wo bist du daheim? – Daheim bin ich beim Herrn. Noch bin ich aber hier auf der Erde zu Hause. Und so lange ich hier bin, will ich meinem Herrn Freude machen. Amen.
Die Predigt wurde im Gottesdienst am 11. November 2021 in Ruit in der Auferstehungskirche gehalten.
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