Predigt (Außenaufnahme)

Liebe Gemeinde,

Sie sind begabt. Die meisten von Ihnen kenne ich nicht – mit vielen habe ich noch nie ein Wort gewechselt – und trotzdem kann ich es Ihnen heute so zusagen: Sie sind begabt. Sie haben eine Gabe, die gebraucht wird. Eine Begabung, von der viele andere profitieren können.

Sie fragen sich nun wahrscheinlich, wie ich mir da so sicher sein kann und woher ich das denn bitteschön wissen will.

Der heutige Predigttext wird Ihnen diese Frage beantworten. Ich lese aus dem 1. Korintherbrief im 12. Kapitel die Verse 4-11:

4Es gibt zwar verschiedene Gaben, aber es ist immer derselbe Geist. 5Es gibt verschiedene Aufgaben, aber es ist immer derselbe Herr. 6Es gibt verschiedene Kräfte, aber es ist immer derselbe Gott. Er bewirkt das alles in allen Menschen. 7Das Wirken des Geistes zeigt sich bei jedem auf eine andere Weise. Es geht aber immer um den Nutzen für alle. 8Der eine ist durch den Geist in der Lage, mit Weisheit zu reden. Ein anderer kann Einsicht vermitteln –durch denselben Geist! 9Einem Dritten wird durch denselben Geist ein besonders starker Glauben gegeben. Wieder ein anderer hat durch den einen Geist die Gabe zu heilen. 10Ein anderer hat die Fähigkeit, Wunder zu tun. Ein anderer kann als Prophet reden. Und wieder ein anderer kann die Geister unterscheiden. Der Nächste redet in verschiedenen unbekannten Sprachen, ein weiterer kann diese Sprachen deuten. 11Aber das alles bewirkt ein und derselbe Geist. Er teilt jedem eine Fähigkeit zu, ganz so, wie er es will.

1. Korinther 12, 4-11

Liebe Gemeinde, heute feiern wir das Pfingstfest. Wir feiern, dass Gott seinen Heiligen Geist in diese Welt geschickt hat. Wir feiern, dass Gottes Geist wirkt. Nicht nur damals an Pfingsten. Nein, Gottes Geist ist auch heute noch am Werk.

Wir bekennen uns als Christen ja zum dreieinigen Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und gleichzeitig ist der Heilige Geist bei uns in der Regel ziemlich unterrepräsentiert. In der Verkündigung taucht er beispielsweise fast nur an Pfingsten auf. Vermutlich hängt es damit zusammen, dass er so schwer greifbar und damit so schwer begreifbar ist. Ich denke, gerade wir eher nüchterne Landeskirchler müssen uns immer wieder daran erinnern. Gottes Geist wirkt. Auch heute noch. Aber wie?

Zunächst ist ganz grundsätzlich und zentral, dass der Heilige Geist den Glauben an Jesus Christus in einem Menschen weckt. Direkt vor unserem heutigen Predigtabschnitt macht Paulus klar: „Niemand kann sagen: ‚Jesus ist der HERR!‘, wenn nicht der Heilige Geist in ihm wirkt.“ Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, dann ist das ein Werk des Heiligen Geistes Wenn jemand Jesus Christus als seinen Herrn er- und bekennt, dann ist der Heilige Geist am Werk. Dass wir an Jesus Christus glauben, das hat der Heilige Geist vollbracht. Gottes Geist wirkt – bei uns und auch bei anderen dürfen wir das immer wieder erleben. Vermutlich vor allem bei jungen Menschen. Bei Kindern, die in der Jungschar oder Kinderkirche diesen Jesus kennenlernen und dann irgendwann erkennen, Jesus ist wirklich der Herr. Mit ihm will ich leben. Oder bei den Konfis, die Jesus im Konfiunterricht für sich entdecken und mit ihrer Konfirmation sich von Herzen zu ihrer Taufe und auch zu Jesus als ihrem Herrn bekennen. Natürlich kann der Heilige Geist diese Offenbarung Menschen in jedem Alter schenken, nur erleben wir es bei den Jungen vermutlich häufiger.

Nun ist es aber nicht so, dass der Heilige Geist die Menschen sozusagen einmal berührt, sie Christus als ihren Herrn erkennen und bekennen und er dann weiterzieht. Nein, der Geist Gottes bleibt weiterhin auch und gerade an uns Christen am Werk. Unter anderen als Gabenverteiler. Der Heilige Geist teilt jedem eine Fähigkeit zu, so haben wir es im Predigttext gehört. Jeder erhält eine Gabe. Das betont Paulus zweifach. Und deshalb kann ich Ihnen heute zusagen: Sie sind begabt. Ohne Sie zu kennen. Ohne jemals nur ein Wort mit Ihnen gewechselt zu haben. Sie sind begabt. Sie haben eine Gabe, die ihnen der Heilige Geist schenkt und mit der sie sich in der Gemeinde zum Nutzen aller einbringen können.

Paulus führt neun sogenannte Geistesgaben auf. Er nennt einerseits Gaben, die nach außen hin eher natürlich wirken: mit Weisheit reden, Einsicht vermitteln oder ganz schlicht der Glaube. Andererseits zählt er auch auf: spektakuläre Gaben wie das prophetische Reden, das Reden und Übersetzen in unbekannten Sprachen – auch Zungengebet genannt, die Fähigkeit Wunder zu tun und die Gabe zu heilen.  

Während uns bei den natürlicheren Gaben vermutlich jemand einfällt, der in diesem Bereich begabt ist oder manche von uns sogar selbst eine dieser Gaben haben, machen uns die spektakulären Gaben vermutlich eher stutzig. Menschen, die wirklich Wunder tun können, oder sagen, sie hätten die Gabe zu heilen oder prophetisch zu reden, wecken in vielen von uns erstmal große Skepsis. Diese Gaben finden wir in unseren landeskirchlichen Gemeinden eher selten. Es gibt viele Erklärungen und Thesen, warum das so ist. Diese werde ich jetzt nicht alle aufführen, weil ich an dieser Stelle heute keinen Schwerpunkt setzen möchte. Ich möchte nur so viel dazu sagen: In anderen Kulturen und Ländern und auch in charismatischen Gemeinden hierzulande, finden wir durchaus Glaubensgeschwister, die diese Gaben haben und ausleben. Der Heilige Geist wirkt also durchaus auch heute noch auf diese Weise an Menschen. Warum aber nicht bei uns? Ich meine, der Heilige Geist agiert kultursensibel. In einer rationalen Gesellschaft wie der unseren hält er sich mit den spektakulären Gaben zurück, weil das mehr Menschen vor den Kopf stoßen würde, als dass es den Glauben an Jesus Christus in der Gemeinde stärken oder bei anderen Leuten wecken würde. Das ist aber das Ziel der Geistesgaben.

Wichtig ist, dass Paulus hier keine abschließende Aufzählung macht. Das wissen wir, weil er später im Kapitel noch weitere Gaben nennt und auch im Römer- und Epheserbrief weitere Gaben des Geistes aufzählt. Beispielsweise die Gabe des Helfens, des Trostes, des Gebens, der Leitung oder der Barmherzigkeit. Die hier von Paulus genannten Gaben können also um viele weitere ergänzt werden. Vermutlich hat er an dieser Stelle nur die Gaben aufgeführt, die in Korinth ab populärsten waren und gleichzeitig zu Streit in der Gemeinde geführt hatten. Ein jeder meinte die wichtigste Gabe zu haben. Es gab eine Art Wettstreit der Begabten. Die Gaben des Geistes in eine Rangfolge zu stellen, ist jedoch absurd. Das ist Paulus wichtig. Denn diese Gaben sind keine Errungenschaft. Die Gaben sind keine Eigenleistung – sie sind ein Geschenk des Heiligen Geistes.

Im Griechischen ist das Wort Gabe mit dem Wort Gnade verwandt. Wo Menschen das Evangelium der Gnade Gottes hören und annehmen, da beflügelt und befähigt sie der Heilige Geist.

Das tut er nicht einheitlich, sondern individuell. Wie er will. So heißt es in unserem Text. So zeigt sich das Wirken bei jedem auf eine andere Weise.

Aber fest steht:

Jede Gabe hat ihren eigenen vollen Wert und ist an ihrer Stelle unentbehrlich. Wie wichtig ist es, sich das in der Gemeinde immer wieder bewusst zu machen. Der Dirigent des Posaunenchores ist genauso wichtig, wie der mehr im Hintergrund agierende, aber immer einsatzbereite Handwerksmeister im Bauausschuss. Die treuen Küchenmitarbeiter beim Gemeindefest so wichtig, wie die Kirchengemeinderätin und die Kinderkirchmitarbeiterinnen. Die Musikteams werden genauso gebraucht, wie die Mitglieder der Gemeindebriefredaktion.

Gottes Geist wirkt nicht nur an einzelnen, die immer vorne stehen. Nein, unbegabte Christen, die nichts in die Gemeinde für die Gemeinde einbringen können, gibt es nicht.

Egal, um welche Gabe es geht. Paulus macht eindeutig klar, dass es immer um den Nutzen für alle gehen muss. Gottes Geist befähigt uns, dass wir uns zum Wohle aller einsetzen. Die Gaben sollen mit Hingabe für alle genutzt werden. In Korinth ging es einigen allerdings mehr um die Selbstdarstellung als um die Gemeinde. Das kritisiert Paulus. Die Gaben sind ein Geschenk – dem Geber gebühren Lob, Ruhm und Dank dafür – nicht dem Beschenkten. Das ist die Haltung, mit der auch wir unsere Gabe einsetzen sollen.

Sie sind begabt. Vielleicht fragen Sie sich nun, ob Sie der Heilige Geist eigentlich vergessen hat. Wo Ihre Begabung liegt, die Sie zum Wohle aller, einbringen können. Geistesgaben müssen oft erst entdeckt werden. Oft sind sie nicht so offensichtlich. Manchmal widersprechen sie sogar dem scheinbar Augenscheinlichen. Da ist beispielsweise eine sehr introvertierte Frau, die sich lieber im Hintergrund hält, sich aber dann doch traut für den Kirchengemeinderat zu kandidieren und im Gremium mit ihrer Gabe, strukturiert und vorausschauend zu denken, unersetzlich ist. Oder ein Konfi, der vom Typ her total der Chaot ist, entdeckt, dass er einen super Draht zu Kids hat. Er wird ein treuer Mitarbeiter in der Jungschar. Wie Gott die Gaben verteilt, ist nicht planbar. Aber er tut es. Wir werden nachher noch drei Frauen hören, die ihre Gabe Nutzen und zum Wohle der Gemeinde einbringen.

Sie sind begabt. Deshalb möchte ich Sie ermutigen: Fragen Sie ruhig beim Geber nach, wenn Sie sich nicht sicher sind: „Herr Jesus Christus, welche Gabe hast du für mich bereit? Heiliger Geist, öffne mir die Augen für deine Aufgabe für mich.“ Und dann legen Sie ganz praktisch los. Geistesgaben entdeckt man beim Ausprobieren. Zwischen Träger und Empfänger. In der lebendigen Gemeinde.

Machen Sie doch einfach mal das, woran Sie Freude haben. Egal, ob Sie bisher jemand in diesem Bereich für begabt gehalten hat oder auch nicht. Egal, ob das Ihre Familie schon immer in der Gemeinde gemacht hat oder noch nie jemand in diesem Bereich aktiv war. Trauen Sie sich. Tasten Sie sich heran und entdecken Sie das Potential, das Ihnen der Heilige Geist schenkt.

Sehr spannend finde ich, dass Paulus grammatikalisch deutlich macht, dass die Gaben nicht für immer gegeben sind, sondern immer wieder neu zugewiesen werden. Von Gott durch seinen Heiligen Geist. Sie sind nicht in der Verfügbarkeit von uns Menschen. Für uns heißt das: Wir sind nicht für immer festgelegt auf unsere Gabe und damit gleich gar nicht auf unsere Aufgabe in der Gemeinde. Manchmal fehlt uns vielleicht die Motivation und auch die Kraft für das, was wir tun. Uns gehen die Ideen aus oder wir haben absolut keine Freude mehr an unserem Platz in der Gemeinde. Das könnten Zeichen dafür sein, dass es an der Zeit ist, neu zu prüfen, wo die eigene Gabe ist und welche Aufgabe nun dran ist.

Gottes Geist begabt uns. Das gilt nicht nur für jeden Einzelnen, das gilt auch für uns als ganze Gemeinde, ja als ganze Kirche: Wir sind begabt. Wissen wir das? Und nutzen wir das?

Paulus denkt Gemeinde nicht von den Aufgaben, sondern von den Gaben her. Er fragt nicht, was muss getan werden, weil es eben dazugehört, schon immer gemacht wurde oder von der Kirche ja so erwartet wird – nein, er zeigt die Gaben auf und weist darauf hin, dass es um den Nutzen für alle geht. Ich finde es spannend, Gemeinde so zu denken. Natürlich ist es vielleicht auch riskant. Vielleicht müssen wir Liebgewonnenes sein lassen, weil wir erkennen, dass wir in diesem Bereich insgesamt gar nicht so begabt sind. Dafür haben wir aber die Chance, andere Bereiche zu entdecken, in denen wir unser großes Potential noch gar nicht nutzen. Gerade der Neustart unsere Gemeindearbeit nach der Corona- Zwangspause könnte doch eine Möglichkeit sein, das zu prüfen. Nutzen wir unser Potential? Eröffnen unsere Gemeinden Räume, wo möglichst alle ihre Gaben entfalten können?

Tun wir uns in manchen Bereichen auch so schwer, motivierte Mitarbeiter zu finden, weil dort der Heilige Geist bei uns keinen Gabenschwerpunkt legt? Müssen wir deshalb vielleicht auch Dinge sein lassen?

Die ganze Gemeindearbeit wird deshalb sicher nicht zum Erliegen kommen. Im Gegenteil: Wenn jeder nach seiner Gabe sucht und diese zum Wohle aller einbringt, dann werden wir unglaublich lebendige Gemeinden haben. Noch lebendiger als Kemnat und Ruit ohnehin schon sind. Es ist genial, wie viele sich hier mit ihrer Gabe bereits einbringen. Wie genial wird es dann erst sein, wenn wir unser ganzes Gaben-Potential voll ausschöpfen und der Heilige Geist durch uns Gemeinde baut?

Wir sind Begabte. Der Heilige Geist ist noch heute am Werk. Dafür danken wir dem dreieinigen Gott und bringen uns zu seiner Ehre und zum Wohl für alle ein. Amen.

Die Predigt wurde im Gottesdienst an Pfingstmontag, den 24. Mai 2021 zwischen Ruit und Kemnat auf dem Rossert gehalten.
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