Liebe Gemeinde,
wie würden Sie „Glaube“ definieren?
Das ist gar nicht so einfach. In letzter Zeit beschäftigt die Frage, was Glaube ist, auch einige Juristen und Beamten in Deutschland. Sie sind dafür zuständig, in Asylverfahren den Glauben von Geflüchteten zu „überprüfen“. In unserem bürokratischen Deutschland hätte man für solche Angelegenheiten am liebsten eine Tabelle zum Abhaken der wesentlichen Punkte oder noch besser eine Formel, mit der man genau berechnen kann, wie gläubig ein Mensch ist. Über 100 Punkte reichen aus, um einen Schutzstatus zu bekommen. Mit weniger Punkten kann man seinen „kleineren“ Glauben ja auch heimlich im Heimatland leben, in dem bei öffentlicher Ausübung harte Strafen, ja sogar der Tod drohen. Das ist böser Sarkasmus – ich weiß. Aber leider enden solche Verfahren immer wieder so ähnlich. Ich möchte diejenigen, die solche Urteile treffen und Entscheidungen fällen müssen, aber auch nicht verurteilen. Denn es ist definitiv nicht einfach, ja, ich würde sagen, eigentlich sogar unmöglich, den Glauben anderer Menschen zu beurteilen.
Glaube kann nicht überprüft werden. Er ist nicht einfach abfragbar und auch nicht beweisbar. Denn Glaube ist mehr als auswendiggelerntes theologisches Wissen. Glaube ist nicht abhängig von der Intensität des Bekehrungserlebnisses und eine Taufurkunde ist keine Glaubensbescheinigung.
Aber was ist Glaube?
Im Hebräerbrief finden wir eine Antwort auf diese Frage. In der ganzen Bibel geht es um Glaube, aber nur hier finden wir eine ausformulierte Definition von Glaube. Diese Definition ist der erste Teil unseres heutigen Predigttextes. In Hebr. 11 Vers 1 heißt es:
„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“
Hebräer 11, 1
Der Glaube hat nach dieser Definition zwei Eigenschaften: Erstens: Eine feste Zuversicht dessen, was man hofft. Und zweites: Ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
Diese beiden Bestimmungen werden wir uns noch genauer ansehen. Davor möchte ich aber noch den zweiten Teil des Predigttextes lesen, da dieser uns hilft, die Definition richtig zu verstehen. Nachdem der Hebräerbrief den Glauben definiert, führt er nämlich eine ganze Reihe von Glaubensvorbildern, sogenannte Zeugen auf. Angefangen bei Abel bis zu David, Samuel und den anderen Propheten. Für den heutigen Predigttext sind als Zeugen Abraham und Sara ausgewählt.
„In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen.“
Hebräer 11, 2
„Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen im Land der Verheißung wie in einem fremden Land und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte. Darum sind auch von dem einen, dessen Kraft schon erstorben war, so viele gezeugt worden wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, der unzählig ist.„
Hebräer 11, 8-12
Der Glaube ist erstens eine feste Zuversicht dessen, was man hofft und zweitens ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
Zum ersten. Der Glaube ist eine feste Zuversicht dessen, was man hofft. Wir hoffen ja so einiges. Im Moment vor allem Dinge, die mit Corona in Verbindung stehen. Hoffentlich können wir bald mal wieder die ganze Familie sehen. Hoffentlich kriege ich bald einen Impftermin. Hoffentlich erwischt mich das Virus nicht. Hoffentlich wird das Leben bald wieder normal…und so weiter.
Ohne Hoffnung können wir nicht leben. Denn Hoffnung gibt uns Kraft, auch harte Zeiten zu überstehen. Hoffnung ist das Gegengift bei Verzweiflung. Hoffnung schaut immer nach vorne. Dieses Potential entfaltet die Hoffnung aber nur, wenn sie begründet ist. Wenn ich eine feste Zuversicht habe, dass das Gehoffte auch eintreffen wird. Wörtlich kann man feste Zuversicht auch mit Wirklichkeit oder innere Gewissheit übersetzen.
Abraham hatte solch eine innere Gewissheit. Er hoffte, dass sein Herr ihn an einen guten Ort führen würde. Und das war kein unsicheres „Hoffentlich wird alles gut“, kein vages „Hoffentlich gibt es da genug Weideflächen für meine Herden“ und auch kein ängstliches „Hoffentlich gefällt es meiner Frau dort“ – nein, er zog los mit der inneren Gewissheit, dass Gott einen guten Plan für ihn hat und ihn an einen guten, ja den für ihn genau richtigen Ort bringen wird. Abraham glaubte Gott.
Interessanterweise finden wir im Alten Testament Glaube oder auch das Verb „glauben“ eher selten als Begriff. Glaube ist vielmehr die selbstverständliche Antwort von Menschen auf Gottes Reden und Tun. Gott redete zu Abraham und Abraham zog daraufhin mit Sack und Pack los. Das ist Glaube.
Glaube ist erstens eine feste Zuversicht dessen, was man hofft und zweitens ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Ja, Abraham sah noch nichts von seiner zukünftigen Bleibe. Er lebte in der Fremde, was auch immer wieder Probleme mit sich brachte.
Aber er hielt an Gottes Verheißung fest. Er war überzeugt von Gottes Zusage, auch wenn er das Ziel noch nicht sehen konnte.
Er war überzeugt davon, dass Gott mit ihm geht, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. Wörtlich übersetzt heißt der zweite Teil der Definition: Glaube ist ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht. Luther benutzt den negativen Gegenbegriff: Ein Nichtzweifeln. Letztlich sagt beides das Gleiche aus, denn wer überzeugt ist, der zweifelt nicht. Und wer nicht zweifelt, der ist überzeugt.
Neben Abraham wird auch Sarah als Glaubenszeugin aufgeführt. Das finde ich an dieser Stelle sehr ermutigend und tröstlich. Denn die zweite Eigenschaft ist doch schon ganz schön steil. Ein Überzeugtsein. Ein Nichtzweifeln. Wenn beim Glauben keine Zweifel erlaubt sind, dann sieht es mit meinem Glauben manchmal ganz schön schlecht aus. Wer kann von sich schon behaupten, dass er nie zweifelt an den Dingen, die er nicht oder noch nicht sieht? Manchmal ist doch alles zum Verzweifeln – auch wenn wir mit Gott unterwegs sind.
Sara hatte gezweifelt. Sie hatte die Boten Gottes heimlich ausgelacht, die ihr das langersehnte Kind verheißen hatten. Aus ihrer menschlichen Perspektive waren sie und ihr Mann doch mittlerweile viel zu alt, um ein Kind zu bekommen. Über die Ankündigung eines Kindes konnte sie nur lachen. Heimlich. Doch der Herr hatte dieses heimliche Lachen gehört und er spricht Abraham darauf an. Ich lese uns die Stelle aus dem ersten Buch Mose vor:
„Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären, nun, da ich alt bin? Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben.“
1. Mose 18, 13+14
Der Herr verurteilt Sara nicht für ihr Zweifeln. Er verweist stattdessen auf seine Allmacht und bestärkt nochmals seine Zusage.
Auch uns verurteilt Gott nicht, wenn wir zweifeln. Auch uns will er in unseren Zweifeln seine Macht neu bewusst machen und seine Zusagen wieder und wieder zusprechen. Das tut er zum Beispiel durch sein Wort, die Bibel, aber auch durch Glaubensgeschwister, die unsere Zweifel hören, ernst nehmen und mit uns vor Gott bringen. Auch zum Zweifeln ist Gemeinde da. Gerade wenn wir zweifeln, brauchen wir unsere Glaubensgeschwister, die für uns und mit uns glauben.
Der Hebräerbrief erwähnt die Zweifel Saras nicht. Er betont stattdessen, dass es Sarah durch ihren Glauben möglich war, noch ein Kind zu bekommen, weil sie den, der das verheißen hatte, also den Herrn, für treu hielt. Das ist nicht falsch, aber wir wissen, dass es ein Glaube war, der durch Zweifel hindurchgegangen war. Und so meine ich, dass Zweifel zum Glauben gehören. Wer zweifelt, setzt sich mit den brennenden Fragen auseinander. Er verdrängt sie nicht, sondern ringt mit Gott um Antworten. Wer gezweifelt hat und im Gespräch mit Gott seine Fragen geklärt hat, der ist nachher wirklich und echt überzeugt und das auch noch, wenn er auf Gegenwind stößt. Glaube, der gezweifelt hat, wurzelt tiefer. Manchmal müssen wir zweifeln, um zu einem echten Überzeugtsein zu kommen.
„Glaube ist eine feste Zuversicht dessen, was man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“
Hebräer 11, 1
Viele Glaubenszeugen wie Abraham und Sara haben uns diesen Glauben vorgelebt. Der Blick auf die in der Bibel geschilderten Glaubensvorfahren, aber auch auf viele Glaubensgeschwister aus der älteren und neueren Kirchengeschichte kann uns im Glauben ermutigen. Bei ihnen können wir sehen und lernen, was glauben heißt. Was es bedeutet, eine feste Zuversicht zu haben und wie Gott auch trotz Zweifel Gewissheit schenkt.
Die Glaubenszeugen im Hebräerbrief werden heldenhaft präsentiert. Aber auch ihr Glaube ist keine Eigenleistung. Die feste Zuversicht dessen, was man hofft und das Nichtzweifeln an dem, was man sieht, ist letztlich Gnade. Es ist ein Geschenk Jesu Christi an uns. Ohne ihn ist Glaube nicht möglich. Ich lese uns den dritten und letzten Abschnitt des heutigen Predigttextes:
Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.
Hebräer 12, 1-3
Die Gemeinde, für die der Hebräerbrief ursprünglich verfasst worden war, war eine bedrängte und verfolgte Gemeinde. Der Glaube an Jesus Christus kostet die Menschen einiges. Nicht wenige sogar ihr Leben. Angefühlt hat sich das oft wie ein Wettkampf, für den man trainieren muss, für den man Ausdauer, Durchhaltevermögen und viel Kraft braucht. Bei dem einem vor allem bei Gegenwind und anderen widrigen Bedingungen manchmal auch die Luft auszugehen scheint. Manchmal geht es uns im Glauben doch auch so. Es sind andere Dinge, die uns heute hier in Deutschland anfechten. Aber letztlich spüren auch wir immer wieder und ich denke auch immer mehr Gegenwind als Christen.
Dem Schreiber des Hebräerbriefes sind in dieser Wettkampf-Situation zwei Dinge wichtig, um am Glauben dran zu bleiben. Zum einen das Wissen, in guter Tradition unterwegs zu sein. Vorbilder zu haben, die auch ihr ganzes Vertrauen auf den dreieinigen Gott gesetzt haben und von diesem nicht enttäuscht worden sind. Deshalb führt er die Glaubenszeugen auf.
Zum anderen geht es dem Schreiber um den richtigen Fokus. Den Blick auf Jesus Christus hält er für zentral.
Jesus selbst hat den Kampf durchlebt. Gegenwind und Widerspruch am eigenen Leib erfahren. Vorhin haben wir in der Schriftlesung gehört, wie Jesus bei seinem Einzug nach Jerusalem umjubelt worden ist.
„Alle Welt läuft ihm nach“
Johannes 12, 19b
, stellten die Pharisäer mit Argwohn fest. Viele jubelten ihm zu. Feierten ihn als ihren kommenden Retter. Hätte er ihre Hoffnungen erfüllt, wäre er ihr Revolutionsführer geworden. Sie hätten ihn zu ihrem König gemacht. Er hätte großes Ansehen gehabt. Er hätte die Massen mobilisieren können. Vermutlich wäre er dann nach weltlichen Maßstäben als Held und nicht als Opfer gestorben. Aber Jesus reitet nicht auf einem Schlachtross nach Jerusalem ein, sondern auf einem Esel. Er stirbt nicht als Held. Jesus erduldete das Kreuz und ließ die Schande über sich ergehen. Ließ sich geißeln und als König verhöhnen. Wurde ins Gesicht geschlagen und angespuckt.
„Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst“
Hebräer 12, 3
Der Blick auf Jesus Christus hilft uns, nicht matt zu werden und den Mut trotz aller Anfechtungen nicht zu verlieren. Dieser Blick ist für unseren Glauben entscheidend.
Denn Jesus ist der Anfänger und der Vollender des Glaubens. Er ist es, der uns den Glauben schenkt. Wenn ein Mensch am Kreuz Gottes Liebe erkennt, wenn er versteht, dass Jesus Christus für ihn gestorben ist und er bereit ist, eine Beziehung mit Jesus Christus einzugehen, dann ist das keine intellektuelle Leistung und kein Verdienst. Dann war Jesus, der Anfänger des Glaubens am Werk. Dann hat Jesus in diesem Menschen gewirkt und ihm den Glauben geschenkt.
Jesus macht es uns möglich, zu glauben und er steht uns in allen Zweifeln zur Seite.
„Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“
Lukas 22, 32
sagte er Petrus zu. Und so wie er für Petrus einstand, tut er es auch für uns. Deshalb können wir, wie der Vater des besessenen Kindes, der sich an Jesus wendet, zu Jesus rufen:
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“
Markus 9,24
Auch unseren oft kleingläubigen Glauben vollendet er. Jesus ist der Anfänger und der Vollender unseres Glaubens. Er schenkt uns die feste Zuversicht, dass unsere Hoffnung begründet ist und er hilft uns, auch an den Dingen nicht zu zweifeln, die wir noch nicht sehen können. Amen.
Die Predigt wurde im Gottesdienst am Palmsonntag, den 28. März 2021 in Ruit in der Auferstehungskirche gehalten.
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